THE BOOTS
Die Geschichte der besten deutschen Band
aller Zeiten
Von Mike Korbik
Wo fang ich
an? Am Anfang, klar? Der war für mich erst Mitte der 70er Jahre. Ich bin die
entscheidenden 2-3 Jahre zu jung, um die Boots schon damals zur Zeit ihres
Wirkens und Erfolgs erlebt zu haben. Ich habe zwar ab ca. 1966 regelmäßig
lokale Beatbands im Jugendheim um die Ecke sehen dürfen, aber die Boots
waren da schon zu bekannt oder was weiß ich. Jedenfalls haben sie bei uns
nicht gespielt und ihre Platten gab es wohl auch nicht überall. Keiner
meiner älteren Kumpels hatte jemals Boots-Platten, also bekam ich von ihnen
auch nichts mit. Erst 8 Jahre
später an der Uni beim KSV (Kommunistischer Studenten Verband) lernte ich
einen alten Beatfan kennen, der mir die LP „Here are the Boots“ mal auslieh.
|
 |
Da war es um mich geschehen. Diese Scheibe
haute mich dermaßen um, dass ich sogar davon träumte und erst wieder ruhig
schlafen konnte, als ich ein gut erhaltenes Exemplar auf dem Flohmarkt fand &
für den Spottpreis von 10 DM nach Hause tragen durfte. Die Singles und die 2.
LP waren da schon schwerer zu bekommen. Aber jener Beatfan vom KSV machte mich
auch darauf aufmerksam, dass ich den rarsten Boots-Song überhaupt besaß. „Aber
ich blieb kühl“, die deutsche Version eines obskuren Blues/Jazz Titels von
Oscar Brown jr., erschien 1966 auf der Compilation „Beat bis zum Wecken“, die
weitere Berliner und andere deutsche Bands der Zeit vorstellte. Diese Platte
hatte ich vom DJ unseres Jugendheims als Weißmuster ohne Cover geschenkt
bekommen. Somit ist es genau genommen sogar meine 1. LP überhaupt, die mich
damals allerdings wenig beeindruckte. Und ich muss heute sagen, besonders toll
ist die Scheibe immer noch nicht, trotz Patina, die sie inzwischen angesetzt
hat. Nun aber zur Geschichte der besten deutschen Band aller Zeiten.
Es begann damit, daß Jörg „Jockel“ Schulte-Eckel (Guitar, Vocals), Heinz Hoff
(Drums), Armando „Blacky“ Lindinger (Vocals, Guitar) und ein gewisser Hardy
(Bass) als The Boots begannen, von sich reden zu machen. Das war 1964. Sie
spielten R&B-Standards von Chuck Berry und ähnliches und orientierten sich an
britischen Bands wie den Stones. Genauso wie ihre schärfsten Konkurrenten um
den Berliner Beat Thron, The Hound Dogs kamen die Boots mehrheitlich aus dem
Wedding, einem klassischen Berliner Arbeiterbezirk. In kurzer Zeit erspielten
sie sich einen solchen Ruf als Live Band, daß sie schon bald außerhalb Berlins
Angebote bekamen. So kam es zu einem Engagement für die Starpalast-Kette in
Norddeutschland. Bei einem ihrer Gigs in Kiel trafen die Jungs auf Bob
Bresser. Bob war als Bassist mit einer holländisch-indonesischen Combo The
Jeckills (die spielten eine Art Shadows-Verschnitt) auf Tournee & blieb in
Kiel hängen, da die Truppe sich als wenig konsistent herausstellte. Boots
Basser Hardy war wohl eh nicht so ganz der Richtige, und so gab es einen
fliegenden Wechsel: Abgang Hardy zurück nach Berlin, Auftritt Bob für den Rest
der Tournee und dann als festes Bandmitglied. Die Tour endete in Cuxhaven, wo
die Band den Jahreswechsel 1964/65 erlebte. Heinz und Blacky fuhren zurück
nach Berlin, doch Jockel und Bob blieben an der Waterkant mit kaum einen
Pfennig in der Tasche. Aber Heinz konnte einen Gig im Casino am Funkturm klar
machen, und so kratzten die beiden Exilanten alles Geld zusammen und kauften 2
Bahntickets nach Berlin. An der DDR-Grenze brauchte Bob als Ausländer ein
Visum für die DDR Grenze für 10 DM. Und da die beiden nun völlig pleite waren,
wäre die Karriere der Boots bereits in den frühen Januartagen 1965 jäh zu Ende
gewesen, hätte nicht ein amerikanischer Geschäftsmann ohne Vorurteile
gegenüber langhaarigen Musikern helfend eingegriffen und das Visum bezahlt. So
wurde der Gig am 17.Januar 1965 zu einem der bis dato besten der Boots und
führte zu einem ständigen Engagement im Casa Leon in der Hasenheide in
Berlin-Neukölln.
Die bereits erwähnten Hound Dogs gab es schon ein paar Jahre länger. Sie waren
die rohe ungeschliffene R&B Variante, vergleichbar mit den frühen Pretty
Things. Sänger der Hound Dogs war in jenen Tagen Werner Krabbe. Der sah, dass
die andere Berliner Beat Band die musikalisch kompetentere war. Die
Möglichkeiten der Hound Dogs blieben dagegen doch immer recht eindimensional.
Viel Power, aber wenig Gefühl für Nuancen und Abwechslung. Also stieg Werner
bei den Boots als Sänger ein. Ulli Grün, der zuvor ständig mit den Hound Dogs
rumhing und auch schon mal die Rhythmus-Gitarre schlug, folgte ihm & wurde
schließlich Organist der Boots. Die Orgel zu spielen, lernte er on stage, so
daß er schon bald seinen wilden unverwechselbaren Stil erreicht hatte. Blacky,
der sowieso lieber Country Musik spielen wollte, hatte die Band verlassen und
die Boots steuerten unaufhaltsam ihren größten musikalischen und auch
finanziellen Erfolgen entgegen. Jockel: „Seit Werner & Ulli bei uns
eingestiegen waren, ging es richtig ab. Unser Manager hatte uns ein paar Gigs
in Bayern besorgt. Als wir zurückkamen, nahm die Berliner Presse viel mehr
Notiz von uns. Finanziell ging es uns gut, weil uns viele Leute sehen wollten.
Wir spielten fast täglich in Berlin, oft in Jugendheimen. Wir bekamen auch
mehr und mehr Angebote aus Westdeutschland. Das waren meist feste Engagements,
keine Tourneen. Dieter Behlinda, unser Manager, brachte uns auch ins
Vorprogramm der Kinks oder Casey Jones oder den Who. So spielten wir auch in
der Waldbühne und im Sportpalast. Die Freilichtbühne in der Hasenheide mit
3000 Sitzplätzen schafften wir als Headliner zu füllen. Das war an einem
Sommernachmittag. Es war so voll, dass wir nach dem Auftritt heimlich durch
den Hinterausgang verschwinden mussten, weil die Kids uns sonst die Sachen vom
Leib gerissen hätten.“
Das Repertoire der Boots bestand zu der Zeit nach wie vor aus R&B Standards &
Covern britischer Bands. Jockel spielte eine Halbakustik Gitarre, eine Gibson
Stereo. Er bringt die Solos, wobei er durchaus kreativ von den Vorgaben der
Originalplatten abweicht. Berühmt geworden ist sein Bottleneck Solo mit der
Fantaflasche bei Gloria. Ulli spielt Ryhthmus Gitarre, ebenfalls auf einer
Halbakustik. Aber sein wichtigster und unverwechselbarer Beitrag zum Boots
Sound sind seine schweren Orgel- Riffs und teilweise schon psychedelischen
Solos auf der Hammond. Heinz ist ein großartiger Drummer. Er versteht es wie
kein zweiter, sich der Stimmung eines Songs oder Stils anzupassen und absolut
eigenständig dazu zu spielen. Ob hart und gerade oder leicht und swingend, ob
im Shuffle Rhythmus oder in freier Jazz Form, Heinz macht alles! Werner ist
Deutschlands bester Blues Sänger, nicht nur ein Shouter. Und Bob spielt solide
und zuverlässig seine Bassläufe und bildet mit Heinz ein absolut zuverlässiges
rhythmisches Rückgrat. Außerdem behielt er den Überblick und kassierte die
Gagen, denn im Gegensatz zu den anderen Boots blieb er den ganzen Abend
weitgehend nüchtern. Und so ein Abend im Top Ten in Rudow oder im Seeschloß in
Hermsdorf konnte lang werden. Wenn die Teenies um 22.00 Uhr nach hause
mussten, dann begannen die Boots richtig aufzudrehen. Da spielten sie schon
mal längere Improvisationen. Oder sie kramten unbekanntere Titel vor,
experimentierten mit Sounds & Arrangements. Augen- & Ohrenzeugen berichteten
mir, so stellten sie sich im Nachhinein vor, hätten die 13th Floor Elevators
1966 in Texas oder die Yardbirds in London oder andere ähnliche Band in
Schweden und wo auch immer auf der Bühne geklungen. Die Boots als Avantgarde
des R&B, als innovative Veränderer der Popmusik? Wer weiß? – Aber ich greife
vor.
Im Frühjahr 1965 tauchte ein gewisser Paul Murphy, seinerzeit Talent Scout für
Telefunken-Decca immer öfter bei Gigs auf. Er redete von Plattenaufnahmen,
aber niemand glaubte so recht daran. Bob erinnert sich: „Plötzlich kam
Behlinda & wedelte mit einem Vertrag. Die Leute bei Teldec wunderten sich
wohl, warum die Platten von Them sich in Berlin so gut verkauften. Es gab halt
eine Menge Boots Fans in der Stadt, die wollten Platten von ihrer
Lieblingsband kaufen. Und weil es keine gab, nahmen sie stattdessen die
Originale ... Die Aufnahmesession war eher so was wie ein schlechter Trip.
Morgens um 7.30 Uhr sollten wir da sein. Um 7 Uhr warteten wir immer noch auf
Jockel am verabredeten Treffpunkt. Wir suchten ihn überall und fanden ihn
schließlich im Bett eines Mädels, das ihn in der Nacht zuvor abgeschleppt
hatte. Er hatte einen ordentlichen Kater und meinte nur: ‚Lasst gut sein
Jungs, wir gehen morgen hin.‘ Naja, jedenfalls kriegten wir Jockel endlich ins
Auto. Als wir im Studio ankamen, zu spät natürlich, sagten sie uns, wir
sollten einfach spielen, was wir sonst immer spielten, den normalen Set am
besten. 2 Stunden später rief jemand aus dem Kontrollraum: ‚Stop! Alles klar,
wir sind fertig.“
Die Band war im Nachhinein mit dem Ergebnis überhaupt nicht zufrieden. Aber
obwohl man vielleicht zugestehen kann, dass sie live wilder & dreckiger
klangen, ist die Platte, die da in den Berliner Teldec Studios in Lichterfelde
ohne Overdubs & andere Fiesemantenten entstand, definitiv die beste deutsche
LP der 60s. Ja sie hält sogar internationale Vergleiche aus. Werner: „Diese
Leute waren einfach zu alt! Dauernd rief einer: macht mal leiser. Dabei
brauchten die Vox Verstärker doch volle Lautstärke, um diesen wunderbaren
verzerrten Klang zu liefern.“ Bob: „Dieser typische dreckige Gitarrensound ist
völlig weg. Wenn Jockel seine Gitarre mit der Fantaflasche malträtierte, war
das nicht einfach ne Bottleneck Imitation, es war ein Trip, einzigartig,
verrückt! Das haben sie alles zerstört. Wenn Ulli ein jaulendes Orgel Solo
spielte, mixten sie die Rhythmus-Gitarre nach vorn. Totale Scheiße!“ Wie
gesagt, alles ist relativ. Ich liebe diese Platte „Here are the Boots“ nach
wie vor. Sie hat einen unglaublich präsenten Sound und eine wunderbare
Dynamik! Die Platten der Rattles oder der Lords oder anderer deutscher
Beatcombos sind dagegen ein Witz.
Zwei Singles erschienen aus dem Album, die auch komplett auf der LP enthalten
sind: But You Never do It Babe /bw Dimples und Gloria /bw Walking In The Sand.
Auch aus derselben Session stammt die dritte Single: In The Midnight Hour /bw
Watch Your Step, die mit Applaus unterlegt wurde, eine beliebte Methode in den
Sixties, um Authentizität herzustellen. Die LP enthält neben den ersten beiden
Singels die Titel: She’s About A Mover / Hey Mama, Keep Your Big Mouth Shut /
It Ain‘t Necessarily So / Got Love If You Want It / Enchanted Sea / Baby.
Please Don’t Go / Watcha Gonna Do About It / When I Loved Her / Jump Back,
Baby / Boogie Children. Das sind zwar alles Coverversionen, aber wie die Boots
die Titel spielen, ist einfach phänomenal! Die ganze Palette ihrer
Ausdrucksmöglichkeiten kommt hier zum tragen. Von der bluesigen Ballade über
diverse R&B Kracher bis zum Echo überladenen Psycho-Instrumental, und dabei
ist es immer noch genug Pop, um auch ein breites Publikum zu begeistern. Die
Boots Version von Gloria ist die beste, die je eine Band auf dieser Erde
aufgenommen hat. Aber eh die Begeisterung völlig mit mir durchgeht, zurück zur
Geschichte.
Etwa zur gleichen Zeit wie die LP Here Are The Boots erschienen auch zwei
Sampler:
Live At The Liverpool Hoop No. 1 und No. 2 mit den Boots und anderen Bands.
Die Aufnahmen wurden wohl tatsächlich im Liverpool Hoop gemacht. Das war ein
Club, der Dieter Behlinda gehörte, in der Nähe des Nollendorffplatzes. Ich
glaube, es war Motzstr. Ecke Eisenacher Str., wo heute die vielen Schwulenbars
sind. Die Titel im einzelnen sind: Crazy Enough For Me / Spoonful auf No. 1
und In The Midnight Hour / I Wish You Would / Watch Your Step / One More Time
auf No. 2. Diese Liveaufnahmen sind aber wohl auch nicht unter realen
Bedingungen, wie sonst bei den Boots Auftritten üblich waren, gemacht. Klasse
sind sie aber allemal! 1966/67 waren die Boots mindestens dreimal im Fernsehen
zu bewundern. So spielten sie einmal live im legendären Bremer Beat Club und
und sie traten auch zweimal in der Drehscheibe des ZDF auf. Zumindest die
entsprechende Beat Club Folge wurde Ende der 70er in den 3. Programmen
wiederholt (vielleicht auch später noch mal). Sollte jemand von euch geneigte
Leser einen Mitschnitt davon sein eigen nennen, ich wäre für die Überspielung
mehr als nur einfach dankbar!
Die Tourneen und Gastspielverpflichtungen in Westdeutschland häuften sich. Die
Boots waren eine der beliebtesten und erfolgreichsten Live Bands, vor allem im
Norden und Westen der Republik, aber auch in Bayern und Franken hatten sie
reichlich Fans. Werner ging der Stress des ständigen On the Road Lebens bald
auf die Nerven. Außerdem zogen ihn familiäre Bande stärker als die anderen
heim zu Weib und Kind. Daher haute er eines Tages einfach ab, und die übrigen
Boots fanden nur einen Zettel von ihm im Hotelzimmer. Eine Weile machten sie
ohne ihn weiter, schließlich hatte Jockel schon früher recht ordentlich
gesungen. In dieser Zeit entstand auch der Titel „Aber ich blieb kühl“, der
wohl auch nicht ganz ernst gemeinte Reaktion auf das Ansinnen von Plattenfirma
und Behlinda zu verstehen ist, man möge doch mal Deutsch singen.
Dann tauchte Werner wieder auf. Und es entstand „Gaby“, der einzige selbst
verfasste Song der Boots. Die Credits haben Werner (Text) und Bob (Musik),
aber laut Jockel war es wohl mehr eine Bandkomposition. Wie auch immer, „Gaby“
ist eine großartige Mod-Power-Pop Nummer, ganz im Stil der Creation, Who oder
Small Faces. Die Boots waren damit absolut auf der Höhe der Zeit! Die Single
passt wunderbar zum Swinging London anno 66/67! Der Song erschien als Single
1966, auf der B-Seite fand sich eine Coverversion des Schmachtfetzens „Another
Tear Falls“, im Original von den damals super angesagten Walker Brothers.
Einzige Eigenkomposition stimmt nicht ganz. Wie sich jetzt herausstellte, gab
es da vermutlich aus dieser Session, jedenfalls aus der gleichen Zeit, einen
Song mit deutschem Text: Hey-Hey Hey-Hey (Der Sinn des Lebens), musikalisch
ähnlich wie Gaby, wenn auch nicht von derselben Klasse. Der Text von Werner
erinnert mich irgendwie an die Lyrics von DDR Bands wie Team 4 oder die frühen
Puhdys. Dieser Titel befindet sich befindet sich auf dem CD Re-Issue der 2.
Boots LP als Bonustrack genauso übrigens wie Gaby nebst Flipside und die Titel
von Live at the Liverpool Hoop No. 1.
Die LP Beat With The Boots war schon eine merkwürdige Angelegenheit. Puristen
und Fans der ersten Stunde haben sie regelrecht gehasst. Die Zeichen der Zeit
standen 1967 nicht nur auf Flower Power, sondern auch auf Soul, ob nun Motown
oder James Brown und Wilson Pickett. Als R&B Band hatten die Boots natürlich
auch eine starke Affinität zum Memphis Soul und sahen da für sich eine
Marktlücke in Good Old Germany. Werner konnte damit nun gar nichts anfangen.
Konsequenterweise stieg er aus und widmete sich seinem anderen Hobby. Werner
Krabbe (sic!) betreibt seither in Berlin Spandau eine Zoohandlung. Bob brachte
einen Bekannten aus Holland als neuen Frontmann in die Band: Jacques Eckhard,
ein strohblonder Sunnyboy mit zeitgemäßem Artpop Outfit und einer gar nicht so
schlechten Stimme. Teldec wollte unbedingt, daß ihr Hauskomponist Sanford
Alexander aus Hamburg diesmal mit von der Partie ist. Also waren knapp 1/3 der
Songs auf der LP von ihm. Ziemlich albern, wenn man bedenkt, daß die Boots
diese Titel nie live spielten. Der Rest waren Soul Cover, die einfach nicht
adäquat umgesetzt wurden. Live haben Green Onions oder Barefootin‘ wunderbar
funktioniert. Im Studio klang alles etwas zu künstlich & bemüht. Dennoch ist
die Platte aus der Rückschau betrachtet nicht so übel. Ullis Hammond groovt
ganz schön ab, Heinz ist auch hier der sichere Rhythmus Virtuose. Jockel kam
diesmal tatsächlich zu spät zur Aufnahme. Die anderen waren mächtig sauer auf
ihn und hatten inzwischen den exzellenten Musiker Ingo Kramer von der Berliner
Band The Odd Persons geholt. Aber Jockels aggressiver Stil war nicht zu
ersetzen. Eine Single Alexander /bw Don’t Want To Go On Without You wurde
ausgekoppelt. Neben den schon genannten Titeln finden sich auf der LP: Get Out
Of My Life Woman / Searching Days / It’s A Man’s Man’s World / I Feel Good /
It Was A Private Affair / I Can Not Believe / Do You Really Know / Don’t Fight
It / Comin‘ Home / Out Of Sight. Alles in allem eine sehr orgellastige Soulpop
Scheibe, die durchaus ihre Momente hat.
Doch die Boots hatten ihren Zenith überschritten. Am Ende wurden die Jungs
auch noch von ihrem Manager Dieter Behlinda so richtig über den Tisch gezogen.
Wie fast alle Musiker in den Sixties waren die Boots total blauäugig. Sie
wollten in erster Linie ihre Musik spielen, immer genug Bier, was zu beißen
und natürlich hübsche junge Mädels. Alles andere war ihnen ziemlich wurscht.
(Ich hab` übrigens manchmal so meine Zweifel, ob sich da bis heute wesentlich
was geändert hat). Alles geschäftliche regelte Behlinda. Wie viele Platten
verkauft wurden, wusste nur er. Nachdem Teldec die Band gedropt hatte,
spielten sie zunächst weiter quer durch Deutschland. Ihre Popularität als
tolle Live Band war zunächst ungebrochen. Von Behlinda als Agenten hatten sie
sich getrennt und buchten ihre Gigs selber. Jacques gefiel die Richtung der
Band immer weniger und er ging zurück nach Holland. Für kurze Zeit
rekrutierten die Boots den schwarzen Jamaikaner Sunshine (Earl Woodham) als
Sänger. Da tauchte Behlinda plötzlich aus Nacht und Nebel bei einem Gig in
Kiel auf und wedelte mal wieder mit einem Vertrag. So sagte er jedenfalls. Er
stellte die Band vor die Wahl: entweder ein Scheck von Teldec mit den gesamten
Royalties von Teldec oder ein Vorvertrag mit CBS. Die Nasen entschieden sich
für den Vorvertrag und sahen demzufolge bis heute keinen Pfennig von den
Erlösen ihrer Platten.
1968 kam ein jähes Ende, nachdem ihr Tourmanager nach einem Gig in Wien
mitsamt Bus, Equipment und Gage das Weite gesucht hatte. CBS wollte von einem
Vorvertrag nichts wissen und zeigte sich desinteressiert an der Band. Bob
begann in Berlin zu studieren. Heinz und Ulli folgten wenig später einem Anruf
von Jacques aus Holland, der von einem Plattenvertrag erzählte. Zwei Singles
erschienen dort bei Philips 1968/69. Aber die sind nun wirklich nicht
besonders toll. Ich hab‘ sie nur einmal vor Jahren gehört und kann mich kaum
noch daran erinnern. Kein bleibender Eindruck jedenfalls. Für kurze Zeit
schloss sich Heinz einer religiösen Sekte an. Ulli wurde Fernmeldetechniker.
Jockel wurde Student wie Bob. Inzwischen leben Jockel, Heinz & Ulli alle in
der Gegend von Nürnberg. Dort gehörten Heinz und Ulli übrigens Anfang der 70er
zur letzten Besetzung von „Ihre Kinder“, einer völlig zu unrecht vergessenen
Band, die in ihrer besten Zeit wie eine deutschsprachige Version von Buffalo
Springfield klang.
Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Anfang der 80er erschien eine Box
mit 3 LPs bei Merseyside’s Greatest in Hannover. Die Box enthielt somit das
Gesamtwerk der Band, bis auf die Philips Singles. Die Aufmachung war ein
bisschen dürftig, aber immerhin konnten die Nachgeborenen die beste deutsche
Band so kennenlernen. Kurz darauf erschien bei Dynamite Records eine 7‘ EP der
„Beatband“. Dahinter verbargen sich Werner Krabbe und ein paar alte Haudegen
aus den Hound Dogs Tagen. Die Platte ist ganz ok, aber mit den Boots nicht zu
vergleichen. Die Beatband trat auch mehrfach live auf in Berlin. Doch hatten
diese Auftritte mehr das Fluidum unsäglicher Bierhaus Oldie Kapellen, obgleich
die Combo nach ausreichend Bierkonsum durchaus recht wild war. Teldec brachte
so um 1982 die LP Here Are The Boots im Originalcover wieder raus. Und auch in
den 90ern wurde die Scheibe nochmal re-released, diesmal in Lizenz von Pin-Up
Records. Inzwischen gibt es, wie schon erwähnt, beide LPs wieder als CDs mit
Bonustracks, so daß alles, was für Teldec aufgenommen wurde, nun wieder
erhältlich ist. Es wurde das Original Artwork verwendet und ein paar hübsche
Archiv-Fotos dazu. Die Band (bis auf Werner) erfuhr von den Re-Issues mal
wieder nur aus der Presse.
Im Dezember 1994 gab es anlässlich von
Jockels 50. Geburtstag ein Reunion Konzert in Fürth. Was die alten Herren da
auf die Bretter legten konnte sich sehen und hören lassen. Klar, die Zeit ist
nicht stehen geblieben. Ulli sieht mit seinem Schnauzer & Glatze aus wie der
Deutschlehrer meiner Tochter. Auch Jockel hat nur noch wenig Haare, ist aber
sonst gut in Schuß. Graumeliert sind sie alle! Was soll’s? Die Musik, die da
von der Bühne kam, war so großartig wie früher. Mit geschlossenen Augen konnte
man meinen, die Zeit sei stehen geblieben. Nach etwa zwei Stunden kamen auch
Gastmusiker auf die Bühne, deren Berechtigung dort zu spielen wohl eher
familiärer Natur war. Aber es wurde nie wirklich peinlich. Alles in allem war
es ein toller Abend und die lange Anfahrt allemal wert.
Es wäre schön, wenn ihr Euer nächstes Konzert hier in Berlin abhalten könntet.
Hier, wo Ihr immer noch zahlreiche Fans habt.
Bedanken möchte ich mich bei Hans-Jürgen Klitsch, Peter Holluch, Christian
Huhn & Sandy Hobbs, die alle auf die eine oder andere Art mein Wissen um die
Geschichte der Boots erweitert haben. Die Zitate stammen aus Interviews, die
in Gorilla Beat 14/82 (Bob & Werner) bzw. Spendid 3/88 (Jockel) erschienen.
Nicht zuletzt gilt mein Dank dieser wunderbaren Band!
The Boots rule OK!
Quelle: Useless
Early Ripes 1998
|