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Rock und Revolte
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Fest steht allenfalls, daß eine irgendwie geartete Beziehung zwischen der Rock-Musik und dem Politischen eindeutig gegeben ist, und sei es nur die, daß sie auch bei Ereignissen politischen Charakters gespielt werden kann oder daß sie auf dem Umweg über die Songtexte zu politischen Ereignissen oder politischen Fragen Stellung nimmt. Als Beleg für den politischen Charakter der Musik reichen Beziehungen dieser Art nicht aus. Jedenfalls dann nicht, wenn der zugrundeliegende Begriff von Politik mit unmittelbaren politischen Wirkungen, also etwa unmittelbaren Veränderungen der Machtverhältnisse, rechnet. Musik ist ein Überbauphänomen und als solches nicht imstande, unmittelbar Veränderungen an der Basis herbeizuführen. Da sie aber zugleich eine Ware ist und als solche von den bestehenden Produktionsverhältnissen abhängt, haben die an der Produktion dieser Ware Beteiligten eine gewisse Möglichkeit, die Veränderung der Produktionsbedingungen zu betreiben. Weiterhin haben sie eine gewisse Möglichkeit, mit der von ihnen hergestellten und vertriebenen Ware Veränderungen im Überbau zu propagieren und zu betreiben. Die Praxis zeigt, daß innerhalb bestimmter Grenzen beide Möglichkeiten wahrgenommen werden. Umstritten bleibt jedoch, ob die zustande gekommenen Veränderungen im Überbau soweit gehen, daß sie als Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins bestimmter gesellschaftlicher Gruppen gelten können und als politische Arbeit an der Basis praktisch werden. Die Antwort darauf hängt von der jeweiligen politischen Ideologie dessen ab, der sie gibt. Sicher ist jedenfalls, daß die Rock-Musik gerade dann, wenn sie politisch zu werden versucht, sich als ein widersprüchliches Phänomen offenbart. Ihr Widerspruch besteht darin, daß sie die Abschaffung von Zuständen verlangt, denen sie ihre Existenz verdankt, ohne zugleich mit deren Abschaffung die eigene Abschaffung zu propagieren. Dieser Widerspruch gilt jedoch nicht allein für die politische Rock-Musik, sondern für jedes Kunstwerk, das im Kapitalismus am Kapitalismus Kritik übt. Er ist ein Abbild jenes grundsätzlichen Widerspruchs der kapitalistischen Produktionsgesellschaft, die dazu neigt, die Produktionsbedingungen soweit fortzuentwickeln, daß diese am Ende die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse selbst ermöglichen. Es bezeugt darum wenig Einsicht in die eigene politische Theorie, wenn linke Theoretiker der Rock-Musik ausgerechnet ihre Widersprüchlichkeit ankreiden. Logisch richtig wäre allenfalls, solchen Rock-Musikern, die mit ihrer Musik auf politische Wirkungen aus sind, eben dies vorzuwerfen und ihnen vorzuschlagen, mit der Musik aufzuhören und statt dessen politische Basisarbeit zu leisten, eine Konsequenz, deren die betreffenden linken Theoretiker meist selbst nicht fähig oder willens sind. Einem streng gedachten Begriff von linker Politik zufolge kann dieser Widerspruch einzig auf diese Art gelöst werden. Dem aber stehen die objektiven gesellschaftlichen Bedingungen entgegen, denen die Musiker sowohl wie ihr Publikum unterworfen sind. Sie sind in der Regel Angehörige der bürgerlichen Klasse, was sie höchstens leugnen, nicht aber aus der Welt schaffen können. Und Klassenzugehörigkeit ist nicht eine Sache individueller Entscheidungen. Die Leugnung dieses Sachverhalts würde aber nicht nur zu seiner Verschleierung, sondern zur Verschleierung der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt beitragen. Dem mit seiner Klasse zerfallenen bürgerlichen Künstler bleibt also nur die eine Möglichkeit, seine Klassenzugehörigkeit nicht wegzudisputieren, sondern an ihr festzuhalten und die damit zugleich sich einstellenden Widersprüche auszuhalten. Mehr noch: Im Aushalten dieser Widersprüche und in ihrer schonungslosen Bloßlegung liegt seine einzige Chance; denn genau darin besteht seine gesellschaftliche Funktion als bürgerlicher Künstler, der zum Verräter an seiner Klasse wurde. Dafür, daß es sich bei den Rock-Musikern, die mit ihrer Arbeit politische Wirkungen zu erreichen suchen, um Verräter an ihrer eigenen Klasse handelt, sprechen weniger ihre politischen Bekenntnisse als vielmehr die gesellschaftlichen Zusammenhänge, in denen ihre Musik steht. Rock-Musik hat ein bestimmtes Publikum, das zumindest zu einem großen Teil der herrschenden Gesellschaft den Kampf angesagt hat und sich mit neuartigen Methoden den bestehenden gesellschaftlichen Zwängen zu entziehen versucht. Sofern diese Gruppen, mit ihrem Verhalten politisch progressive Ansprüche verbinden, werden ihnen diese häufig mit denselben Argumenten bestritten, wie sie auch der Rock-Musik bestritten werden, was für eine Identität dieser Ansprüche spricht. Die Rock-Musik ist zumindest mit dem, was politisch an ihr ist, Bestandteil dieser gegen die bestehende Gesellschaft gerichteten Bewegung, deren politische Zwecksetzungen unterschiedlich sein mögen, die sich aber zumindest in der Abkehr von den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in den kapitalistischen Ländern einig ist. Das ermöglicht ihre Subsummierung unter die Bezeichnung Gegenkultur oder Subkultur. Rock-Musik ist ein i Phänomen der Gegenkultur, und da sie eines von deren herausragenden Phänomenen ist, hat es sich ergeben, daß Rock-Musiker zu den exponiertesten Vertretern der gegenkulturellen Bewegung wurden, ob sie das wollten oder nicht. Eine politische Bewertung der Rock-Musik hat nur dann Sinn, wenn sie aus diesem gesellschaftlichen Kontext heraus verstanden und zugleich dessen politischer Wert berücksichtigt wird. Der jedoch ist, entsprechend der inneren Disparatheit dieser Bewegung, nicht eindeutig zu bestimmen. Sicher ist nur, daß die hier vorherrschenden Vorstellungen von Politik nicht die systemimmanenten und täglich praktizierten der parlamentarischen Demokratien westlicher Prägung sind. Wie immer deren Verfassungen die politischen Rechte und Funktionen ihrer Bürger festlegen, auf die wirklich wichtigen politischen Entscheidungen, die in der Regel im Dunkel von Macht und Interesse ausgehandelt und vorbereitet, im Kabinett getroffen und im Parlament sanktioniert werden, haben ja die Bürger faktisch nicht den mindesten Einfluß. Sie können lediglich alle vier Jahre wählen. Was dazu zu sagen ist, hat der amerikanische Underground-Kolumnist und Lyriker Charles Bukowski anläßlich der letzten amerikanischen Präsidentschaftswahlen gesagt, als er bemerkte, die Wahl zwischen dem Republikaner Nixon und dem Demokraten Humphrey liefe »auf das gleiche hinaus, als wenn man uns beim Mittagessen die Wahl zwischen kalter und aufgewärmter Scheiße läßt.« Das ist die — auch bei vielen Rock-Musikern — vorherrschende Meinung. Sie war es nicht immer. Es hat den aus den parlamentarisch-demokratischen Verfassungen abgeleiteten Begriff von Politik, der naiv und idealistisch damit rechnet, daß die staatlichen Institutionen dem Geist der Verfassung entsprechend funktionieren, auch in der populären Musik gegeben, besonders in der amerikanischen Folksong-Bewegung der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Ein Woody Guthrie-Song, der für die Folksinger und ihre Fans zu einer Art Hymne wurde, hatte den Refrain:
Daß die Behauptung, etwa die Insel Manhattan gehöre den bärtigen barfüßigen Folksingern, auf idealistischer Weltfremdheit und politischer Naivität beruhte, konnte angesichts der offenkundigen Ungerechtigkeiten im amerikanischen Alltag nicht lange verborgen bleiben, und so erklärt sich der Trotz, der in den gesungenen Worten immer mitklang. Als sich dann viele dieser Folksinger und ihrer Zuhörer fü die Bürgerrechtsbewegung der amerikanischen Neger engagierten, bewiesen sie damit eine politische Moral, die im Grunde nicht weniger weltfremd und naiv war. Es ging damals um die Durchsetzung der civil rights für die schwarzen Amerikaner, denen ein wesentlicher Teil ihrer verfassungsmäßig festgelegten Rechte vorenthalten wurde und, übrigens, bis heute vorenthalten wird. Die Vorstellung, eine Gesellschaft, die einer Minderheit ihrer Mitbürger die Anerkennung ihrer von der Verfassung garantierten Rechte verweigert, könnte durch moralische Appelle dazu gebracht werden, mit dieser nicht nur liebgewordenen, sondern auch ökonomisch begründeten Gewohnheit urplötzlich zu brechen, konnte der Erfahrung des Gegenteils nicht lange standhalten, ohne daß man sich jedoch bereit gefunden hätte, sie aufzugeben. Man verschanzte sich noch einmal hinter jener Art von trotzigem Optimismus, wie er sich beispielsweise auch gegen die Resignation in den letzten Worten des Liedes durchsetzt, das die Bürgerrechtskämpfer auf ihren Demonstrationen sangen:
Die Gewißheit, man werde schon siegen, irgendwann wenigstens, bezeugt aber ja eigentlich nur die Einsicht, daß man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht werde siegen können. Eine neue Generation von schwarzen Kämpfern, deren har ter Kern sich in der Black Panther Party zusammenfand, wai weder bereit, sich mit dieser Einsicht zufriedenzugeben, noch beschränkte sie sich in ihren politischen Vorstellungen allein auf die Durchsetzung der Bürgerrechte. Als sozialistische und revolutionäre Partei begriff sie den Rassenkampf als Klassenkampf. Sie begriff, daß in der kapitalistischen Gesellschaft auch ein Schwarzer, der im Besitz seiner verfassungsmäßig garantierten Rechte ist, ein ausgebeuteter Schwarzer bleibt, daß sich also an seiner gesellschaftlichen Stellung objektiv nicht das geringste ändert und daß mithin der Kampf gleich um die Veränderung der Gesellschaft geführt werden müsse und zwar nicht irgendwann, sondern sofort. Parallel zur politischen Radikalisierung der Schwarzen verlief die Radikalisierung bestimmter weißer Gruppen. Aus dei Kampagne gegen den Vietnam-Krieg, die zunächst in dei Hauptsache von Studenten getragen wurde, und zwar wiederum im Sinne eines moralisch getönten Pazifismus, wurde ebenfalls ein Kampf um die Veränderung der Gesellschaft, die imperialistische Kriege dieser Art aus Gründen der Selbsterhaltung zu führen gezwungen ist. In den Zusammenhang dieser Radikalisierung gehört auch die Auflehnung weißer, überwiegend aus dem Mittelstand stammender Jugendlicher gegen den American way of life, ihr Überdruß an den Segnungen der industriellen Zivilisation, die mit einer totalen Unterwerfung unter die herrschenden Normen der Leistungsgesellschaft bezahlt werden müssen. Ihre Versuche, aus dem System auszubrechen und sich seine Lücken zunutze zu machen, waren beim Establishment der Erwachsenen zunächst nur auf Un Verständnis gestoßen, wurden aber bald von ihm mit zunehmender Gewalttätigkeit bekämpft. Diese Erfahrung machte eine Politisierung der subkulturellen Bewegung unausweichlich. Aus den friedfertigen Hippies etwa, die auf flower power bauten und in Berkeley den auf sie losdreschenden Polizisten Blumen schenkten, wurden die anarchistischen Yippies. Diese Radikalisierung erstreckte sich auch auf einen beträchtlichen Teil der Musiker, die mit ihren Songs sowohl w mit persönlichem Einsatz an diesen politischen Bewegung' teilhatten. Das hat sich nicht nur in ihren Texten, sondern auch im Klang ihrer Musik niedergeschlagen, vor allem hin Dem liegt ein komplizierter politischer und ästhetischer Prozeß zugrunde, der auf keinen Fall lediglich nach dem Sehen von Ursache und Wirkung abgelaufen ist. Der politische Gehalt der Rock-Musik, wenn sie denn einen hat, ist so vielfältig gesellschaftlich vermittelt, daß er sich zwar möglicherweise i auch im Text niedergeschlagen hat, aber mindestens ebenso l stark und wahrscheinlich sogar stärker in deren spezifisch musikalischen Elementen wirksam ist. Aus ihnen aber kann eine politische Nutzanwendung allenfalls mittelbar gezogen werden. Es sind Songs denkbar, deren Texten jede als politisch zu klassifizierende Aussage fehlt und die trotzdem unstreitig politischen Charakters sind. Dasselbe gilt für reine Instrumentalstücke. Jedenfalls ist es nicht bloßer Zufall, daß viele Folksinger nach der Ermordung John F. Kennedys anfingen, ihre Musik mit den musikalischen Elementen des kommerziellen Rock 'n' Roll der fünfziger Jahre zu verbinden. Das prominenteste Beispiel dafür war Bob Dylan, der im Jahre 1965 auf dem traditionellen Folksong-Festival von Newport mit einer elektrischen Gitarre auftrat. Er wurde damals dafür ausgebuht, was als Beleg dafür dienen kann, wie aus einer einstmals progressiven Sache eine regressive werden kann. Man bezeichnete den aus der Mischung von Folk- und Rock-Elementen zustandegekommenen musikalischen Stil als Folkrock. Barry McGuires »Eve of Destruction« war dessen erster Welterfolg.
Hier wurde es zum ersten Mal gesagt, daß es mit den Friedensmärschen allein nicht getan sein kann. Bis zu welchem! Grade die politische Radikalisierung der musikalischen Wortführer der amerikanischen Gegenkultur inzwischen fortgeschritten ist, läßt sich aus dem Song »Volunteers« der San Francisco Gruppe Jefferson Airplane ablesen. Wo es einst geheißen hatte »This land is your land/this land is my land«, da wird nun zur Revolution aufgerufen: '
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