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TREND ONLINEZEITUNG
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
 
Zwischenspiel mit schlechten Karten

Der Anfang vom Endes des Star-Clubs

Mit den neuen Stars veränderte sich langsam auch der Alltag im Star-Club. Nicht musikalisch und auch nicht unbedingt qualitativ. Aber das Publikum wandelte sich. Die Haare wurden immer länger, die Anzüge und Krawatten verschwanden, die Ansprüche stiegen. Rockmusik war nicht mehr länger eine schwer zugängliche Seltenheit, sondern breit angebotener Lebensinhalt geworden. Konzerte gab es jetzt überall, Beatles und Stones tourten durch die größten Hallen, jede Stadt hatte Musikclubs und Discotheken. Eine eigene Rock- und Jugendindustrie war entstanden, in den Plattenläden bekam man problemlos jeden gewünschten Hit. Nach Jahren der fast totalen Rock-Abstinenz im Fernsehen, das, wenn überhaupt, nur Musiker zuließ, die sich für die Sendung die Haare stutzten, startete der junge Regisseur Michael Leckebusch in Bremen eine monatliche Sendereihe, in der er Bands so zeigte, wie sie wirklich waren: den «Beat-Club». Der Star-Club hatte Konkurrenz bekommen, harte Konkurrenz, doch noch immer war sein Programm so gut, daß kein anderer mithalten konnte. Und er brachte Dinge, die bei sterilen Großkonzerten eben nicht möglich waren. So kam eines Abends Chris Barber in den Club. Er hatte gerade ein Konzert in der Musikhalle gegeben, wollte noch etwas weitermachen, stieg mit seiner Posaune zu den Remo Four auf die Bühne und jammte mit ihnen drauflos. Oder der Romanautor Hubert Fichte las zwischen Songs von lan & the Zodiacs Passagen aus seinem Buch «Die Palette». Oder zum normalen Programm der Rockbands lief eine Modenschau ab. So etwas gab es eben nur im Star-Club.

Die üblichen Hausbands - King Size Taylor, Rattles, Liverbirds, Lee Curtis, Remo Four - waren jetzt selber Stars. Vor allem Remo Four mit Tony Ashton an den Keyboards hatten sich zu einer echten Attraktion gemausert. Sie waren locker, ausgelassen und witzig auf der Bühne, für jeden Unsinn gut. Und weil sie nicht den üblichen Rock draufhatten, sondern sich eng an R & B und Jazz anlehnten, liebten die anderen Musiker sie besonders. Neue Gruppen wie die Londoners, die Hi-Fis, die King Pins oder die Boston Show Band - mit Paul Raven alias Gary Glitter als Sänger - etablierten sich zu Dauereinrichtungen. Wie schon in den Jahren zuvor versuchten junge Bands wie Maze (am Schlagzeug der siebzehnjährige spätere Deep Purple-Drummer lan Pake) ihre ersten Sporen zu verdienen oder Ex-Stars wie der einstige Searchers-Sänger Tony Jackson an vergangene Tage anzuknüpfen. Routiniers wie Jackie Lomax und Alex Harvey hielten den musikalischen Standard hoch. Es war eigentlich wie immer, die Monate verstrichen, die Musik blieb die gleiche und das Leben der Musiker zwischen Hotel Pacific und Beershop auch.

Nur deutsche Gruppen waren jetzt öfter als zuvor auf der Star-Club-Bühne zu sehen. Bei jedem Band-Wettbewerb kamen neue dazu, die jetzt auf die heiligen Bretter durften, und die meisten von ihnen fielen zwischen den Engländern nicht negativ auf. Rollicks, Rivets und Phantom Brothers traten immer wieder auf, nicht mehr nur wie früher zur Verstärkung der anderen Bands am Wochenende, sondern regelmäßig über längere Zeiträume hinweg. 1965 begann auch Bühnenmanager Pico mit seiner eigenen mitternächtlichen Solo-Show: «Da sollte ich 'ne Gruppe ansagen, und ich hab meinen alten Spruch losgelassen: <Wir kommen jetzt zum Höhepunkt des heutigen Abends. Sie sehen jetzt einen Gast, Sie kennen ihn alle: Euer Pico!> Und dann war erst mal tierischer Applaus. Da hab ich dann mein Ding abgezogen, so Donald Duck-Geschnatter mit 'nem Bleistift quer im Mund, und Autorennen, Jerry Lewis-Show, Playback zu der Single It's A Gas am Klavier rumgerülpst und so, mindestens eine halbe Stunde lang. Und der Laden stand, ich hab tierisch Beifall gekriegt, Zugaben und so. Also die Gruppe ist erst viel später aufgetreten, die fing auch an zu lachen und hat sich nach vorne gesetzt. Das war natürlich wieder ein Reißer für mich. Ich hab das von da ab öfter gemacht, so bis 1967, das Publikum hat es auch immer wieder verlangt. Meist war ich immer angeknackt, wenn ich das gebracht habe. Dann bin ich auch mit Screaming Lord Sutch zusammen aufgetreten. Ich als Olle mit Kerzen und so; er hat mich geschlachtet und mir das Herz rausgerissen auf der Bühne. Ich hab mir dann vorher so 'n Gummiherz und 'ne Leber und so unters Hemd gesteckt, und Sutch ist dann mit 'nem Gummidolch auf mich los, und ich hab dazu tierisch geschrien. Das war natürlich das, wo ich immer Bock drauf hatte. Mit Johnny Kidd bin ich auch aufgetreten. Der hat mir mit dem Säbel immer meinen Kopf abgehackt, also so getan als ob.»

Weil es nun aber nicht mehr nur den Star-Club gab, kannte man mit der Zeit das, was einem in der Großen Freiheit geboten wurde. Kuno Dreysse: «Irgendwann wurde beim Publikum die Energie weniger, der Enthusiasmus vom Anfang ging verloren. Dieser alte Kultgedanke war einfach nicht mehr da. Es war nur noch Alltag. Wenn wir irgendwo auf dem Lande gespielt hatten, wo man noch nicht so verwöhnt war wie in Hamburg, dann haben die Leute gegrölt und überall mitgeklatscht. Im Star-Club, und das war eigentlich das traurige, gab es netten Applaus, das war alles.»

Die Faszination der Live-Musik im Club begann zu schwinden. Und eine neue Gefahr tauchte auf: die Soulwelle. Mit Sam & Dave und Wilson Pickett erlebten die Discotheken ihren ersten großen Boom. Natürlich war und ist es billiger und bedeutend abwechslungsreicher, statt einiger Bands einen Stapel Singles mit Hitparaden- und Tanzmusik einzukaufen. Und inzwischen interessierte sich das breite Publikum mehr für Hits als dafür, daß zu ihnen auch unbedingt ein paar Musiker auf der Bühne standen. Die Konserve langte völlig. So starb in Deutschland ein Rockclub nach dem anderen, viele Bands verloren ihre Basis und lösten sich daraufhin ebenfalls auf.

Seit Cream und Hendrix gerieten Rock und Beat immer mehr in den Hintergrund. «Progressiv» war das neue Zauberwort, die Songs und Solos wurden immer länger. England verlor seine Vormachtstellung in Sachen Musik, immer mehr amerikanische Gruppen erreichten Einfluß und Popularität. Eine Generation wechselte ihren Soundtrack. Kaum bekannte Namen hatten keine Chance mehr. Zugkräftige Bands wurden immer teurer und unmöglich mehr für längere Zeiträume zu engagieren. Was noch zu haben war, reichte nicht, um die alte Qualität des Star-Club zu halten.

1967 begann in Hamburg die Haschisch-Zeit. Zuvor schon von vielen Musikern und Eingeweihten geschätzt, eroberten Joint, Shillum und Pfeife jetzt im großen Stil weite Kreise. Am oberen Ende der Großen Freiheit baute ein geschäftstüchtiger Wirt den Hit-Club, der stets nur fünftklassiger Abklatsch des Star-Club war, in einen riesigen psychedelischen Tempel um, das Grünspan. Über die Wände zuckten Dias und Kurzfilme, Projektoren warfen verschmelzende Farben in den Raum, Stroboskope

blitzten, und dazu lief aus einer Riesenanlage alles zwischen Pink Floyd und den Doors. Weil sowieso alles im flirrenden Halbdunkel lag, konnte man hier in Ruhe einen rauchen, und wer nichts hatte, bekam am Eingang, was er wünschte. Es war der totale Kontrast zum Star-Club, aber es war neu und faszinierend. Das Grünspan war von Anfang an ein Renner, gegen den der Star-Club auf die Dauer nicht ankam. Im Star-Club waren Joints nicht so gern gesehen, und angetörnte Gäste brachten ein neues Problem mit sich. Hans Bunkenburg: «Die waren alle von ihrem Stoff so angedröhnt, daß sie nur noch alkoholfrei, also Cola und Säfte tranken. Und an einer Flasche hielten sie sich dann stundenlang fest. Das beeinflußte natürlich ziemlich den Getränkeumsatz.» Schließlich durften die Kellner nicht mehr so wie früher den Rubel am Rollen halten. So kam es, daß der Star-Club ab Sommer '67 an Wochentagen immer leerer wurde. Das Stammpublikum von früher war erwachsen geworden und hatte wohl auch den Kontakt zur jetzigen Musik verloren. Nur wenige kamen noch regelmäßig, und meist pendelten die Gäste dann zwischen Star-Club und Grünspan hin und her. Nur wenn eine besondere Gruppe wie Spooky Tooth auftrat, war es wieder richtig voll. Doch langsam, aber sicher glitt der Club in die roten Zahlen.

Im Januar '68 versuchte Hans Bunkenburg zu retten, was zu retten war. Er baute den Star-Club um und installierte eine Discothek. Doch die Mühe lohnte nicht - der Publikumsschwund hielt an. Mit mehr als 150000 Mark Schulden warf er wenig später das Handtuch und führte nur noch den Club 39 auf dem ehemaligen Star-Club-Balkon, den er im Herbst '67 zu einem separaten Lokal eingerichtet hatte. Die große Zeit des Star-Club war vorbei.

Im Mai 1968 übernahm Ulrich Dieckmann den Star-Club von Manfred Weißleder als neuer Pächter. Dieckmann kam aus Steinheim bei Bielefeld und hatte mit einem Elektrogroßhandel viel Geld verdient. Er stand auf Popmusik und versuchte sich als Manager der German Bonds und Rivets. Kuno Dreysse: «Dieckmann wollte immer unheimlich gern mit Bands was machen. Er war an sich ein herzensguter Mensch, den man ausnehmen konnte wie 'ne Weihnachtsgans, wenn man wollte. Wir haben auch 'ne Anlage gestellt gekriegt von ihm. Der hat sich damals total übernommen mit dem Management, er wollte der deutsche Epstein werden, so ungefähr. Na ja, und so hat er dann eben auch den Star-Club übernommen, als der angeboten wurde. Und die Gelder flössen raus, raus, raus, und es kam nie was rein.»

Weil Dieckmann ständig unterwegs war und auch nicht die nötige Erfahrung besaß, engagierte er für den Club einen Geschäftsführer, der die Szene bestens kannte: Herbert Hildebrandt, der bis vor kurzem Bassist der Rattles war und jetzt seine Ex-Band managte und produzierte.

Sie versuchten die Rettung des Star-Club mit einem neuen Konzept. Der Club wurde wiederum umgebaut, diesmal zu einer Discothek, in der auch Bands auftreten konnten. Die Bühne wurde etwas verkleinert, zwei Go-go-Girls aus Frankfurt angeheuert, ein Filmprojektor eingebaut. Aus dem Ruhrgebiet kam ein Discjockey, der sich «der Löwe» nannte. Weil die Band-Gagen so hoch waren, sollte wochentags nur noch eine Gruppe am Abend spielen. Dazu sollte es alle vier Wochen ein Star-Gastspiel geben. Nach viertägigen Umbauarbeiten wurde der renovierte Club am 17. Mai neu eröffnet. Zur Premiere spielten The Smoke aus London. Es half nicht. Der Zuschauerschwund ging weiter, stärker noch als zuvor. Früher war der Star-Club eine Garantie für gute Bands, gute Musik, gute Atmosphäre. Jetzt dudelte höchstens eine drittrangige Gruppe ab und zu mal lustlos vor sich hin. Vor der Bühne vollzogen dazu zwei oder drei schlaffe Paare den Totentanz. In den langen Pausen dröhnten Plattenhits in den leeren Saal. Wer den Star-Club von früher kannte und sich zufällig wieder hineinverirrte, ergriff schnell deprimiert die Flucht. Pico: «Man war enttäuscht, tierisch enttäuscht, daß der Star-Club so tief gesunken war.»

Weil gute Bands immer teurer wurden, wurden automatisch die billigen Bands immer schlechter. Immer mehr deutsche Amateurgruppen traten als einzige Band des Abends auf. Die Auslese und Qualität von einst war dahin. Nur bei Gruppen der alten deutschen Garde, den Phantom Brothers, German Bonds oder Rivets, klang noch ein bißchen von dem durch, was die Musik im Star-Club früher so faszinierend machte. Aber auch diese Bands verloren langsam an Lust und Energie. Die meisten englischen Bands, die in dieser Periode den Alltag des Star-Club bestimmten, sind heute zu Recht vergessen. Nur eine von ihnen schaffte später einen gewissen Aufstieg: Chicken Shack. Sie traten mehr als vier Monate auf, erregten aber kaum großes Interesse. Gitarrist Stan Webb langweilte meist mit ewiglangen Solos, und von Christine Perfect, die Piano spielte, damals schon in England zur Sängerin Nr. l gewählt war und heute mit Fleetwood Mac Millionen scheffelt, hörte man so gut wie nichts. Sie ging völlig in Webbs Gitarrengedröhn unter. Nur bei einigen Star-Gastspielen kam noch einmal Leben in den Saal. Spooky Tooth, die kurz nach der Neueröffnung spielten, hatten genau den Sound drauf, der das Drogenpublikum aus dem Grünspan hinüber in den Star-Club lockte. Ebenso die Move, die im Januar '69 gastierten.

Doch der Untergang des Star-Club war nicht mehr zu stoppen. Ein Stammpublikum, das täglich kam, gab es nicht mehr. Die Jugend von 1968 war auf der Straße, demonstrierte und kämpfte gegen Restauration, den Springer-Konzern und die Polizei. Für nostalgische Vergnügungen im Star-Club war da kein Platz mehr. Und ein gutes zeitgemäßes Programm brachten Dieckmann und Hildebrandt nicht zustande. Während in Londoner Clubs Gruppen wie Pink Floyd, Family, Jethro Tüll und Ten Years After volle Häuser brachten, herrschte an der Großen Freiheit hauptsächlich Ausschuß und beschämend gähnende Leere. Junge und vielversprechende Bands wie Status Quo oder Julie Driscoll machten zwar in Hamburg oder beim «Beat-Club» Bremen TV-Aufnahmen und hatten am Abend meist Zeit, doch der Star-Club nutzte die Chance nicht, so günstig an attraktive Programmbereicherungen zu kommen. Der einstige Rock-Palast war zur Ruine mit nicht einmal mehr regionaler Bedeutung geworden, die sich nur noch notdürftig mit dem alten großen Namen tarnte und über der schon die Pleitegeier kreisten.

Geschäftlich war nichts mehr drin. Kuno: «Da hat dann jeder nur noch in die eigene Tasche gewirtschaftet, jeder gegen jeden.» Bis Ulrich Dieckmann schließlich genug hatte und im Januar '69 den Pachtvertrag des Star-Club kündigte.

 

 

Editorischer Hinweis

Der Text wurde entnommen aus:

Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S.
2008f

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