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Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg 13.4.1962 - 31.12.1969 |
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Hits und Joints und lange
Soli Rock wird selbstverständlich Der neue Star-Club-Konzessionär hieß jetzt zwar Hans Bunkenburg. Manfred Weißleder aber blieb nach wie vor der Boss, die bestimmende graue Eminenz im Hintergrund. An der Qualität des Programms und der Atmosphäre des Clubs änderte sich deshalb vorerst wenig. Es veränderten sich nur Äußerlichkeiten. Im Herbst '64 wurde der Club umdekoriert. Die Skyline-Bühnenkulisse verschwand und wurde gegen einen blauen Vorhang mit dem Star-Club-Schriftzug vertauscht. Auf der Bühne dagegen blieb noch alles beim alten. Gene Vincent, Little Richard und Johnny Kidd & the Pirates gaben Star-Gastspiele, Gruppen wie die Roadrunners, lan & the Zodiacs, Lee Curtis, Liverbirds, Rattles, King Size Taylor, Remo Four und natürlich Tony Sheridan bildeten die Alltagsattraktionen im normalen Dauerprogramm etlicher Liverpool-Bands. Ein bereits gebuchtes Gastspiel von Herman's Hermits, die in England soeben mit l'm Into Something Good ihren ersten Hit hatten, mußte wieder abgesagt werden. Vier der Hermits waren noch unter achtzehn und bekamen aus Jugendschutzgründen keine deutsche Arbeitserlaubnis. Pfingsten 1965 kam durch Vermittlung von Brian Epstein erstmals eine Gruppe, die in dem Ruf stand, all das wirklich zu tun, was man den Rolling Stones andichtete: die Pretty Things. Sie machten ihrem Image dann auch jede Ehre und lieferten sich auf der Bühne eine muntere Keilerei, als deren Höhepunkt Sänger Phil May eine meterhohe Blumenvase auf dem Rücken seines Schlagzeugers Viv Prince zertöpperte. Wenig später reiste aus London Georgie Farne an, sein erster Hit Yeh Yeh war gerade vier Monate alt. 158 Und dann gastierten regelmäßig auch Casey Jones & the Governors, die ihre Hits und Show von Screaming Lord Sutch klauten, gegen den wilden Sutch aber eher wie zahme Verkehrskasper wirkten. Doch langsam begann die Musik sich zu ändern. Aus Liverpool kam lange schon nur noch Standard, kein Wahnsinn mehr. Neue Gruppen tauchten in England auf, die nicht mehr so klangen wie die alte Garde. Neue Stars wurden geboren. Im Sommer 1965 war das auch im Star-Club nicht mehr zu überhören. Da nämlich begann eine Band ihr Vierwochen-Engagement, die alle sofort umhaute und in Windeseile zur totalen Hamburger Kultgruppe wurde: die VIPs. Kuno Dreysse erinnert sich: «An dem Abend hatte irgendeine englische Star-Gruppe gespielt und baute eben ihre Anlage ab. Die VIPs waren gerade aus England gekommen, kamen direkt aus dem Bus auf die Bühne und mußten jetzt erst mal aufbauen. Dadurch entstand 'ne riesige Pause, und das Volk war unheimlich unruhig. Und dann fingen die VIPs endlich an, und alle waren gleich ganz weg. Die hatten diesen schwerfälligen Rock drauf, unheimlich eigenständig, ganz das Gegenteil zu den üblichen Beat-Bands, und reichlich schwarz. Mike Harrison war der Sänger, und er klang noch geiler und erdiger als Ray Charles. Und Greg Ridley spielte dazu einen Mörderbaß. Alle sahen sehr verschärft aus, so mit starken Frisuren und Koteletten und mit Samtjacken, und ihre Gitarren hingen ihnen zwischen Hüfte und Knie, das war total neu und ungewöhnlich. Da hab ich Gänsehäute gekriegt - wenn ich das jetzt erzähle, kriege ich schon wieder 'ne Gänsehaut! -, sie brachten alles auf eine ganz ruhige, coole Art, und ziemlich heavy. So was hatten wir alle vorher noch nie gehört. Die VIPs haben damals sofort fast alle Musiker im Star-Club und in Hamburg ganz schwer beeinflußt!» Mit den VIPs, aus denen sich zwei Jahre später Spooky Tooth entwickelten, begann im Star-Club eine neue Ära. Die alte Rock 'n' Roll-Zeit war vorbei. Die Musik hatte sich verändert und das Bewußtsein auch. Der Rock - oder Beat, wie auch immer man ihn nennen mag - hatte sich gegen alle Widerstände durchgesetzt, war von der unterdrückten Minderheitenmusik zum breiten Massensound, einer echten Volksmusik der Jugendkultur geworden. Millionen von Jugendlichen ertrotzten sich das Recht, lange Haare zu tragen. Eine neue Generation von Fans war herangewachsen, für die nicht mehr Elvis und Little Richard, sondern Beatles und Stones die Heroen waren. Und das wirkte sich natürlich aus. Mit den VIPs begann im Star-Club auch ein neues Drogen-Zeitalter: «Wenn man im Pacific bei den VIPs ins Zimmer kam, stand da auf der Fensterbank immer ein großes Bonbonglas, wie früher beim Kaufmann. Und das war voll mit Mandrax, Prelus, Romela, Purple Heart, AN l und Cappis. Da griffen die Jungs nach dem Aufstehen immer rein und holten sich 'ne Handvoll raus, damit sie gut über den Tag kamen. Aber die VIPs haben auch immer reichlich getörnt und Trips geschmissen. Das war damals für uns noch alles sehr neu, Haschisch und so.» Im Oktober '65 gastierte der damals neben Dylan größte Solo-Held der neuen Love + Peace-Genera-tion an der Großen Freiheit: Donovan, der mit Catch The Wind und Universal Saldier, akustischer Gitarre und Mundharmonika eigentlich wie ein Fremdkörper zwischen all den anderen Bands wirkte. Ganz so weltfremd und bescheiden wie sein Image war der Sänger aus Glasgow freilich nicht: «Immer wieder lesen wir irgendwo, daß Donovan ein anspruchsloser Boy mit Gammler-Ambitionen sei. Geld und materielle Werte bedeuten ihm nichts. Heißt es. An dem Tatsachengehalt dieser Sprüche kommen einem schnell Zweifel, wenn man seine Gagenforderungen kennt. Dazu die Hotel-Wünsche, die stets auf eine Zimmerflucht (!) im besten Haus am Platze gerichtet sind», kommentierte Manfred Weißleder die Auftritte wenig später in seiner Star-Club News. 1966 dann begann eine regelrechte Invasion der neuen Stars, die zweite große Blütezeit des Star-Club. Wie zuvor schon die Rock 'n' Roll-Könige gaben sich nun die Helden der zweiten Beat-Generation die Türklinke in die Hand. Eines allerdings hatte sich verändert: Während die Rocker noch wochenlange Star-Gastspiele gaben, kamen die neuen Bands nur noch für wenige Tage oder gar Einzelauftritte. Ihre Gagen waren inzwischen derart geklettert, daß es sich niemand leisten konnte, sie über einen längeren Zeitraum hinweg in einem Club zu beschäftigen. Im Februar '66 kam erstmals die Spencer Davis Group, musikalisch verwandt mit den VIPs und allein schon deshalb für die Fans an der Großen Freiheit ein ganz besonderer Leckerbissen. Keep On Running stand gerade in allen Hitparaden - kein Wunder, daß der Star-Club bei ihnen wieder einmal bis zum Bersten gefüllt war. Im Mai kehrten sie für zwei weitere Tage zurück, im Herbst '66 starteten sie gemeinsam mit Dave Dee & Co. ihre erste große Deutschlandtour. Anschließend war ihre Gage so hoch, daß sie für den Star-Club nicht mehr erschwinglich waren. Nur Drummer Pete York sollte 1969 noch mehrmals an die Stätte seiner ersten Erfolge zurückkehren. Im April folgten die Pretty Things mit ihrem zweiten Engagement. Und im gleichen Monat gastierte eine Band, deren Hits schon seit einiger Zeit auf Star-Club-Records erschienen und die neben den Beatles und Stones das Populärste und Kostspieligste war, das man in jenen Tagen auftreiben konnte: die Walker Brothers. «Bei den Walkers kostete es 10 Mark Eintritt, das war wahnsinnig viel, nur das Ray Charles-Gastspiel war noch teurer gewesen. Und im Star-Club waren unheimlich viele Mädchen, ganz im Gegensatz zu sonst, und sie kreischten und schrien, als die Walkers auf die Bühne kamen, und wurden ganz verrückt. Die drei Typen auf der Bühne waren groß, lässig und ganz cool, und sie hatten alles voll im Griff. Sie hatten nur eine Band dabei, kein großes Orchester, also der totale Spector-Sound wie im Studio war damit nicht zu machen, aber trotzdem brachten sie es sehr stark. Sie konnten wirklich gut singen, und es kam dabei reichlich was rüber.» Als nächstes kamen die Small Faces, ganz wild und verschwitzt mit einem kreischenden, spuckenden Steve Marriott. Ein paar Tage später stand Manfred Mann auf 'der Bühne, mit Mike D'Abo als Sänger und dem Hamburger Klaus Voormann am Baß, der Jahre zuvor mit den Beatles im Kaiserkeller die Nächte verbracht hatte. Der Auftritt von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich am 26. September endete in einem Gemetzel. Mit Hold Tight und Hideaway war die Band schnell zur populärsten Teenband weit und breit aufgestiegen, und dementsprechend zusammengesetzt war auch das Star-Club-Publikum. Mädchen über Mädchen, wie bei den Walker Brothers, und sie alle hatten nur ein Ziel: sich den schnuckeligen Jungen da oben auf der Bühne zu fangen. Das klappte schließlich auch, Dave Dee wurde von der Bühne in die Menge gezerrt und fachgerecht zerlegt. Als ihn seine Roadies endlich befreit und wieder hinters Mikrofon gestellt hatten, war die schöne Frisur ruiniert, das Hemd hing in Fetzen herab, und ein Stiefel fehlte. Aber alle hatten einen Riesenspaß dabei. Noch mehr Hit- und Teen-Stars traten in den nächsten Wochen an: Graham Bonney, gerade mit Supergirl in den Top Ten, wand sich im knallengen lila Samtanzug wie ein P. J. Proby für Arme. Chris Andrews dagegen, der schon 1962 als Mitglied der Star-Combo im Club gastiert hatte, sah in seiner Pepitajacke zwar biederer aus, hatte aber musikalisch einiges mehr auf dem Kasten. Im November '66 spielten erstmals die Hep-Stars, damals Schwedens Teen-band Nr. l, bei denen der heutige Abba-Mann Benny Andersson das E-Pianor bediente. Dann sollten auch noch Sonny & Cher kommen, doch zehn Tage vorher sagte ihre Plattenfirma ab, weil Sonny am Auftrittstag an einer «Stimmbandkrankheit» leiden würde und deswegen nur im Fernsehen zu Playbacks mimen, nicht aber live auftreten könne. Der größte Hammer von allen Hitbands war aber Sam the Sham & the Pharaohs. Der wälzte sich brüllend so lange auf der Erde herum, bis seine Hose platzte. Seine Band stand daneben mit eisernen Mienen, alle mit dem großen starren Blick und den ganz kleinen Pupillen. Seinen Hit Wooly Bully brachte er in jeder Show mindestens zweimal, damit alle im Saal lauthals ihr <Volle Pulle> mitgrölen konnten. Die ersten drei Monate des Jahres 1967 brachten dann den Höhepunkt dieser zweiten Star-Club-Hoch-Zeit. Nacheinander kamen die drei wichtigsten Bands jener Periode: Eric Burdon & the New Animals im Januar. Ihr House Of The Rising Sun lag Lichtjahre zurück, jetzt begannen Winds Of Change zu blasen, ohne bisher jedoch die Wurzeln der Band zu überdecken. Auf der Schwelle zwischen See See Rider und San Franciscan Nights boten die Animals zwei beeindruckende Konzerte. An dem Abend saßen auch The Who im Publikum, stiegen aber leider nicht zu einer Session oder einem Überraschungsgig ein. Im Februar kamen Cream. Nachmittags standen sie noch in Bremen im «Beat-Club»-Studio vor den Kameras, dann brausten sie mit einem Ford Transit, in dem ihre gesamte Anlage Platz hatte (!), über die Autobahn nach Hamburg. Ein Roadie baute Schlagzeug und zwei (!) Marshall-Türme auf, und ab ging's mit / Feel Free. Mehr als 1200 Menschen keilten sich in der Wahl zwischen Erstickungs- und Zerquetschungstod im engen Club und wurden Zeugen einer neuen Band-Ära, die drei Jahre später den Star-Club sterben ließ. Cream selbst sind das beste Beispiel: Sie eroberten in kürzester Zeit die größten Hallen und Stadien der Welt. In Clubs traten sie nie mehr auf. Warum auch? Abgesehen von ihrer unbezahlbaren Gage war ihr Aufwand mit der Zeit derart gestiegen, daß es sich nur noch rentierte, mit möglichst großen Shows möglichst viele Menschen zu erreichen und sie zum LP-Kauf zu bewegen. Mit Cream wuchs die Musik in eine gigantische neue Dimension, in der Lokale wie der Star-Club bald keinen Platz mehr hatten. Am 17. März schließlich kletterte ein Trio auf die Bühne, das gerade zuvor in England die erste Single veröffentlicht hatte und am ersten Abend knapp 600 Leute in den Star-Club zog. Die Band nannte sich Jimi Hendrix Experience, und was sie brachte, war das Heißeste im Star-Club seit den Beatles: «Ein paar von uns hatten vorher schon Hey Joe auf Radio Luxemburg gehört, aber die Nummer sagte ja nicht viel über das, was dann kam. Hendrix schloß die Gitarre an und ließ sie gleich ganz wahnsinnig losheulen und pfeifen, wir dachten erst, seine Anlage ist kaputt. Aber dann legten Schlagzeug und Baß los, und Hendrix würgte seine Gitarre, biß rein und spielte mit der Zunge und auf dem Rücken und unterm Knie, und er haute sie gegen den Marshall-Turm, das klang so, als explodiert gerade ein Elektrizitätswerk. Dazu verzog er ständig sein Gesicht, das war ein voller Film, der da ablief, also auf dem Gesicht konnte man richtig die Töne sehen, die er erzeugte. Dazu denn noch seine heisere Stimme, die wilden Haare und die kaputte Uniformjacke, die er am ersten Abend trug - das hat uns alle völlig fertiggemacht. Daß da noch andere Leute mit auf der Bühne standen, haben wir gar nicht mitgekriegt. Wir haben immer nur diesen Kerl gesehen, der da Sachen machte, die so total wahnsinnig waren, daß wir gar nicht begreifen konnten, daß es so was gibt. Zum Schluß hat er dann Wild Thing gespielt, über zehn Minuten lang, in einer Mörderversion. Als er fertig war, waren wir auch alle fertig. Keiner ist gegangen, alle blieben da, um ihn um Mitternacht noch mal zu sehen. Ich habe Hendrix später noch ein paarmal gesehen, aber so wild, also im wörtlichsten Sinne tierisch, und so extrem wie damals im Star-Club war er nie wieder.» Die Nachricht von dem Irrsinnsgitarristen verbreitete sich über Nacht. Am nächsten Tag waren es schon mehr als 1000 Zuschauer, und in der dritten Nacht mußte der Star-Club wegen Überfüllung zeitweise geschlossen werden. Das Raumzeitalter hatte im Star-Club Einzug gehalten. Dort, wo jahrelang Hunderte von Bands immer wieder die gleiche Musik gemacht hatten, sprengte Hendrix alle Grenzen, die der Gitarre bisher gesetzt waren, öffnete den Kosmos zum freien Flug der LSD-Astronauten, wies den Weg in die Zukunft. Es gab in diesen drei Nächten niemanden, der nicht aufgeschreckt und zugleich fasziniert war von diesem Mann: «Hendrix weckte uns alle wie aus einem großen Traum. Als wir die Augen öffneten, war die alte Zeit vorbei, ein neues Kapitel Rockgeschichte aufgeschlagen, das alles Vorherige vergessen ließ.» Nach Hendrix kam nicht mehr viel. Was sollte ihn auch übertreffen können? Die Bee Gees, die für August angekündigt waren und dann doch nicht erschienen, sicher nicht. Im Herbst '67 zog sich Manfred Weißleder vollständig zurück und verpachtete den Club an seinen bisherigen Geschäftsführer Hans Bunkenburg. Der führte ihn noch bis Mai '68 weiter. In seiner Zeit kamen die Equals mit ihrer Baby Come Back -Stampfkartoffelshow, Chris Far-lowe mit Albert Lee an der Gitarre und dem blutjungen Drummer Carl Palmer - der später mit Keith Emerson und Greg Lake Karriere machte -, Smoke (My Friend Jack), die Creation (Painter Man), Ben E. King, kurz darauf auch seine Ex-Gruppe Drifters, dann Teen- und Hit-Star David Garrick, der in Spitzenhemd, Dauerwelle und Samthöschen sehr niedlich aussah. Die Flower-Power-Periode zog ein mit John's Children, bei denen damals Marc Bolan Gitarre spielte. Die Band dekorierte die Bühne mit Bergen von Blumen und ihr Love + Peace-Auftritt endete damit, daß sich Sänger und Schlagzeuger derbe prügelten. Nur einen richtigen Höhepunkt konnte Bunkenburg noch verzeichnen: die ersten
Auftritte der neugegründeten Spooky Tooth, die dank ihres VIPs-Renommees sofort
eine große Fan-Gemeinde und volle Häuser hatten und den Erwartungen musikalisch
voll und ganz entsprachen. Wenn Mike Harrison und Gary Wright mit krummen Rücken
über die Keyboards gebeugt heiser ihr Tobacco Road schrien, lief es jedem
über den Rücken. Auch Spooky Tooth wurden zur Kultband, die bis zum Ende des
Clubs 1969 noch mehrfach wiederkam. |
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