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TREND ONLINEZEITUNG
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
 
Statt Striptease Beatmusik

Manfred Weißleder und sein Star-Club-Imperium

Nur mit einem kleinen Handkoffer bewaffnet, kam Manfred Weißleder Mitte der fünfziger Jahre aus Dortmund nach Hamburg. Ein paar Jahre später war der gelernte Flugzeug-Elektromechaniker Besitzer von mehr als einem Dutzend Strip- und anderen Lokalen auf St. Pauli. Mit vierunddreißig verpachtete er seine Läden, kaufte das Haus Große Freiheit Nr. 39 und sattelte um von Sex auf Rock. Er eröffnete den größten Rockclub, den Deutschland bis dahin gesehen hatte, und machte ihn in kürzester Zeit mit einem erstklassigen Programm, viel Engagement und geschickter Werbung zu einem Musiktempel, der auf der ganzen Welt einzigartig dastand.

Dabei entstand der Star-Club anfangs praktisch nur aus Zufall. Manfred Weißleder: «Das ist an sich ein Witz. Ich besitze ja noch andere Lokale, und die liegen in einem Hof an der Großen Freiheit, dem sogenannten Paradieshof. Von der Freiheit aus führte nur ein Torweg in diesen Hof, das war der Baupolizei zu wenig. Sie wollte noch einen zweiten Ausgang, und den konnte ich nur schaffen, indem ich das Haus nebenan kaufte, in dem zu der Zeit noch ein Kino war. Der Star-Club war also quasi nur ein Notausgang für die anderen Lokale. Allerdings habe ich nach Eröffnung des Star-Club dann ziemlich schnell bemerkt, daß da eine große Marktlücke bestand und daß man damit Geschäfte machen konnte. Das habe ich dann gleich entsprechend ausgeweitet.»

Manfred Weißleder war Geschäftsmann, der stets seinen Vorteil deutlich sah und zu nutzen verstand. Der Star-Club und die später angegliederten Unternehmen und Unternehmungen waren keine Wohlfahrtsinstitute und -aktionen, sondern auf Wachstum und Gewinn ausgerichtet. Aber Manfred Weißleder hatte echtes Engagement und war auch ein wenig Idealist, der von großen Dingen träumte und auf der Seite von Musikern und Publikum stand: «Die Idee des Star-Club war die, daß nicht eine Gruppe sieben Stunden lang überstrapaziert wird, sondern daß man etwa sieben Gruppen jeweils eine Stunde lang spielen läßt. Denn diese Musik zu interpretieren ist eine solche Anstrengung, daß es niemand länger als 'ne knappe Stunde aushält, in einem Streifen jedenfalls.

Wir hatten früher auch ein ganz anderes Geschäftsprinzip gehabt als heute in diesen Betrieben, wo vergleichbare Gruppen auftreten. Wir erhoben zum Beispiel kaum Eintritt, das höchste waren 5 Mark, das waren dann aber auch Leute wie Fats Domino und Bill Haley und solche Sachen, die selbst am Abend 60000 Mark kosten. Da habe ich immer Geld zugesetzt bei diesen Star-Auftritten. Das konnte ich, weil ich immer noch diese anderen Läden da habe. Und das können die Leute heute vielleicht nicht, deshalb gibt es so was wie den Star-Club auch nicht mehr. Also, ich habe an den normalen Tagen, den Alltagen, Geld verdient, und an den Tagen, wo Stars auftraten, habe ich regelmäßig zugesetzt.»

Trotzdem holte Weißleder alles in seinen Club, was Rang und Namen hatte oder zumindest vielversprechend war: «Als ich merkte, welchen Zuspruch der Star-Club fand, bin ich sofort nach England gefahren und habe da weitere Gruppen ausfindig gemacht. Später habe ich dann regelrechte Competi-tions abgehalten, habe die Bands vorspielen lassen. Das ist natürlich ein Nachteil, weil sie dann zwei oder drei Nummern einüben und nicht ihren wirklichen Standard bringen, aber es ging nicht anders. Ich war in Liverpool inzwischen bekannt, wenn ich da ankam, wurde ich gleich von irgendwelchen Managern verfolgt. Und ich habe mich als Unbekannter in irgendwelche Dancing Halls gesetzt, mitgehört und dann die Gruppen angesprochen. Wir haben immer nur selbst Gruppen eingekauft, nie über Agenturen gebucht, mit Ausnahme der großen Stars, insbesondere aus Amerika, die man praktisch nur über Agenturen buchen kann. Wir haben ja praktisch alle Stars gehabt, die es in der Zeit gab, mit Ausnahme von Elvis Presley. Aber der trat sowieso nicht auf zu der Zeit. Der machte nur Filme, auch als er aus der Armee entlassen wurde. Sein Manager, der Colonel Parker, lehnte also Live-Auftritte ab zu der Zeit.»

Auf diese Weise schlug Weißleder dem Rock und Beat in Deutschland im beispiellosen Alleingang die erste große Bresche in die erstarrte scheintote Front des Unterhaltungsschmalzes der Erwachsenenwelt, die Alltag und Platten, Funk, Fernsehen, Film und Konzerte damals diktatorisch und ausschließlich beherrschte und an Gruppen höchstens das Medium-Terzett akzeptierte. Manfred Weißleder stand radikal auf der Seite von Rock 'n' Roll und Jugend und kämpfte für sie; er wollte alles und erreichte viel. Er trat an vorderster Front an gegen Vorurteile und die jahrelange Unterdrückung der Musik, die Teil eines neuen Lebensgefühls war:

«Jedem nüchtern denkenden Menschen ist ein Beatle-Haircut lieber als der militärische Plätzchenschnitt unserer jüngeren Geschichte», schrieb er in der ersten Ausgabe seiner Star-Club News. «Und elektrische Gitarren erzeugen einen angenehmeren Klang als das Landsknechtsgetrommel und die Fanfaren der schon wieder gen Ostland drängenden neuen Jugendverbände. Auch wenn diese vorgeben, für eine Freiheit zu tönen, in der mancher dem Nächsten sogar seinen Haarschnitt und seinen Musikgeschmack vorschreiben will!»

Von jugendlichen Ostlandmarschierern hatte er ohnehin die Schnauze gestrichen voll. Als Manfred Weißleder elf Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Mit sechzehn lag er mit einem Karabiner im Dreck vor Berlin, um das Großdeutsche Reich vor dem Ansturm der Russen zu bewahren. Mit siebzehn erlebte er den Zusammenbruch und dann die Zeit des Wiederaufbaus, Jahre, in denen man als Jugendlicher nicht viel zu lachen hatte und es trotzdem versuchte. In einer Star-Club News beschreibt er eine Kirmesrangelei der Nachkriegszeit, wo er mit Freunden immer versuchte, den frischgebackenen deutschen Hilfspolizisten die Karabiner zu klauen: «Der war eigentlich ganz link, unser Rabbatz. Aber Spaß gemacht hat's trotzdem. Das alles habe ich euch erzählt, damit ihr nicht meint, ich sei eine von diesen Flaschen, die sich heute hinstellen und große Reden halten, sie hätten so was früher nicht gemacht. Glaubt ihnen nicht. Die lügen!» Er hatte die gleichen Erfahrungen gemacht wie die Halbstarken, für die er 1962 den Star-Club eröffnete. Und er hatte sie im Gegensatz zu vielen anderen Leuten nicht vergessen: «1945 haben die scharfen Hunde von der Streifen-Hitlerjugend meine Schulkumpels gegriffen und ihnen 'ne Glatze geschnitten, wenn sie abends vorm Fliegeralarm am Bunkereingang <jazzten>. So nannten diese verklemmten Heinis es, wenn die Jungs mal auf einem altersschwachen Akkordeon die treudeutschen Schlager etwas flotter spielten als Michael Jary im Wehrmachts-Wunschkonzert» - so ein Unterschied war das gar nicht zu den Mittsechzigern, als beatlemähnige Jungs auf offener Straße und in der Schule überfallen, festgehalten und ihnen mit Gewalt die langen Haare abgeschnitten wurden. Es war also viel zu tun, viel aufzuholen, viel zu verändern. Und natürlich auch viel zu verdienen. Weißleder schuftete und kämpfte unermüdlich, brachte den Rock und die Stars nach Hamburg, von denen man woanders in Deutschland nur träumte. Mit Nachwuchs- und Band-Wettbewerben lockte er die Amateur-Bands aus ihren Kellern und Garagen, machte Mut, gab ihnen Auftrittsmöglichkeiten und damit die Chance zur Entwicklung. Nach 15 Monaten hatte er den Star-Club zu einer weitbekannten Institution etabliert, zum Rockzentrum mit internationalem Renommee.

Manfred Weißleder: «Alle Gruppen aus England baten uns um Nachweise, daß sie bei uns gespielt hatten. Das traf sogar auch auf Stars zu, die aus Amerika kamen, zum Beispiel Chuck Berry, Bill Haley, Fats Domino und die Leute. Wir hatten damals so 'ne Spritzschablone, mit der wir denen mit Farbspray auf ihre Instrumentenkoffer das Star-Club-Zeichen aufsprühen konnten. Das haben die also immer als erstes verlangt, vor der Gage. Das war praktisch so: Diese unbekannten Gruppen kamen hier rüber, haben 'ne Zeitlang gespielt, und wenn sie nach England zurückgingen, war das praktisch 'n Garantieschein, daß die da drüben groß rauskamen. Wer im Star-Club war, war eben wer und bekam Engagements. Das hat auch den Grund gehabt in der Qualitätssteigerung der Musik, dieses Nebeneinander von vielen Gruppen, die alle miteinander konkurrierten, und dazwischen noch die Stars, von denen man was lernen kann. Das hat sicher das Niveau gehoben bei den Bands, nehme ich an.»

Der durchschlagende Erfolg des Star-Club ließ bald auch in anderen deutschen Städten Rockclubs sprießen. Doch auch wenn sie, wie zum Beispiel der Star-Palast in Kiel, von der Innendekoration her den Club an der Großen Freiheit fast haargenau kopierten, kam keiner von ihnen an das Hamburger Original heran. Weißleder nutzte den beginnenden Club-Boom und vermietete den Namen «Star-Club» für 1000 Mark im Monat an verschiedene Lokale überall im Lande. So gab es bald Star-Clubs in Berlin, Köln, Bielefeld, Kiel, Flensburg, Bremen, Karlsruhe, «und es gab auch einen in Mombasa in Afrika!» (Weißleder). Das hatte nicht nur den Erfolg einer regelmäßigen Nebeneinnahme und massiver Zusatzwerbung fürs Stammhaus an der Großen Freiheit, sondern auch noch einen anderen Effekt: Die Star-Club-Ableger waren verpflichtet, ihre Bands bei Weißleder zu buchen: «Wir hatten eine Anzahl guter Gruppen aufgetan, die wir dauernd in Arbeit halten mußten. Das konnten wir nicht alleine in Hamburg.»

Der Star-Club wurde zum Imperium. Er beschaffte Bands, schickte sie durchs Land, managte einige von ihnen auch (so die Rattles, die Liverbirds, Lee Curtis und einige Sieger der Band-Wettbewerbe). Es gab Zweig-Star-Clubs, Star-Club-Tourneen und Sondergastspiele, vornehmlich in der Ostseehalle Kiel und in der Deutschlandhalle Berlin, unter anderem mit Jerry Lee Lewis und Chuck Berry. Es gab Star-Club-Anstecknadeln und -Aufkleber, T-Shirts und Pullover, Reisetaschen und Kopftücher mit dem Star-Club-Emblem. Es gab Star-Club-Schallplatten und vom August '64 an sogar eine eigene Zeitung, die freche und aggressive Star-Club News. Eine solche totale Vermarkte hatte zuvor noch kein Club zustande gebracht. Der Ruhm des Star-Club stieg von Tag zu Tag, und es sah so aus, als ob Manfred Weißleder der Brian Epstein Deutschlands werden würde, der alles Rockgeschehen im Lande unter Kontrolle hat.

Doch dann kam Amtmann Falck, fünfundvierzig, seines Zeichens Leiter des Wirtschafts- und Ordnungsamtes Hamburg-Mitte, von der Presse der «eiserne Besen von St. Pauli» genannt, von Weißleder auch «vielgepriesener Standgerichtsexperte für Gastwirtsexekutionen». Der studierte die Akten, die Polizei und Behörden über den Club angelegt hatten, und entschied: Das Maß ist voll! Manfred Weißleder kam auf seine Abschußliste. Schon von Anfang an hatten die Behörden den Star-Club auf dem Kieker gehabt. Wer sich für die Jugend einsetzt, handelt und tatsächlich etwas nicht Staatsgelenktes auf die Beine stellt, ist für die Gesellschaft und Obrigkeit automatisch suspekt. Vor allem, wenn dies im rauhen Milieu von St. Pauli stattfindet. Als erstes untersagte das Ordnungsamt Veranstaltungen am Sonntagnachmittag für Jugendliche von zwölf bis sechzehn, die man damals wie heute als unreife Kleinkinder ansah und behandelte. Polizei und Jugendschutztrupp wurden Dauergast (allein 1963 gab es 90 Polizeieinsätze). Schon bald wurde der Star-Club schärfer kontrolliert als die wirklichen Lasterhöhlen von St. Pauli. Am 18. Juli 1963 um 2 Uhr 35 holte man zum großen Rundumschlag aus: 100 Polizisten stürmten den Star-Club und inszenierten eine Großrazzia, wie es sie zuvor auf St. Pauli noch nie gegeben hatte. 60 Personen, hauptsächlich Touristen, wurden unter scharfer Bewachung abtransportiert. Zum Schluß sah die Strecke der Polizei so aus: fünf Jugendliche unter achtzehn. Drei ausgerissene Fürsorgezöglinge. Die zehn Musiker der Undertakers ohne Aufenthaltserlaubnis, die jedoch schon bei der Fremdenpolizei beantragt war. Ein als vermißt gemeldetes sechzehnjähriges Mädchen. Und eine Neunzehnjährige, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen «Fälschung der Personalpapiere» eingeleitet wurde. Insgesamt also viel Aufwand und viel Lärm um nichts. Weißleder, der schon in seiner Sexlokal-Zeit mit Gesetzen und Vorschriften extrem pingelig war, um nicht von Amts wegen schließen zu müssen - so baute er für seine Stripperinnen extra einen Zeitschreiber ein, der genau festhielt, wie lange die letzte Hülle fiel -, wurde daraufhin noch vorsichtiger. Die Club-Angestellten wurden vergattert, so genau wie noch nie die Ausweise der Besucher zu kontrollieren. Und einmal fragte er bei der Polizei sogar an, ob es gestattet sei, sonntags ein Klavier über die Große Freiheit zu tragen.

Jetzt aber besaß Falck stärkere Argumente, um gegen den ungeliebten Club vorzugehen. Seit der Gründung 1962 nämlich hatte es im Club öfter einmal eine Prügelei gegeben. Aktenkundig wurden 1962 eine, 1963 sieben und bis Juni 1964 noch mal acht Schlägereien. Hauptakteure dabei waren stets die Kellner, die sich auf diese Weise mit Nervern, Betrunkenen und Nicht-Trinkern auseinandersetzten. Wegen dieser Tätlichkeiten, Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz und angeblicher Steuerschulden entzog Falck am 11. Juni 1964 Manfred Weißleder die Star-Club-Konzession. Bis zum 22. Juni hatte der Club endgültig zu schließen.

Falck: «Das Faustrecht auf St. Pauli muß ein Ende haben. Nicht die Gäste, sondern die Kellner brechen im Star-Club immer wieder Prügeleien vom Zaun. Das größtenteils vorbestrafte Personal übt vielfach eine Art Selbstjustiz, statt das zuständige Polizeirevier zu benachrichtigen. Dafür ist der Inhaber verantwortlich. Es ging einfach nicht so weiter. Sicherheit und Ordnung auf St. Pauli gehen vor!» Weißleder kämpfte mit allen juristischen Mitteln, damit ihm nicht der Boden unter den Füßen, die Basis seines Imperiums, weggezogen wurde. Er legte gegen den Entscheid sofort Einspruch ein und rechtfertigte sich: «In den 26 Monaten haben wir nur 16 Schlägereien gehabt, und das bei weit über 2,5 Millionen Gästen.» Der Konflikt schlug Wellen. Tagelang füllte die Auseinandersetzung Falck/Weißleder die Schlagzeilen aller großen Zeitungen überall im Lande. Selbst im Fernsehen traten die beiden Kontrahenten gegeneinander an. Tausende von Sympathiebekundungen und Hoffnungswünschen trafen im Star-Club-Büro ein. Die Welt am Sonntag bangte unter der Überschrift «Stimme der Jugend: Ja zum Star-Club»: «Was werden jene jungen Leute statt dessen unternehmen, wenn sie am Abend nicht mehr ihren Twist-Schuppen aufsuchen können? Auch wenn ein neuer Pächter den Betrieb weiterführt, bleibt eine andere Überlegung: So zwielichtig die Person Manfred Weißleder dem erscheinen mag, der die Nachrichten über Schlägereien und andere Unkorrektheiten im Star-Club verfolgt hat, so war er es doch, der den Wagemut und das Selbstvertrauen besessen hat, immer wieder Bands und Show-Musiker von internationalem Ruf nach Hamburg zu verpflichten und dafür horrende Gagen zu riskieren. So wurde Hamburgs Star-Club nicht nur zu einer populären Massenvergnügungsstätte, sondern auch zu einer Marke, die im internationalen Musikgeschäft in hohem Kurs steht. Damit dürfte es nun wohl aller Voraussicht nach bald vorbei sein.» Dagegen sagte der Leitende Regierungsdirektor Dr. Becker von der Hamburger Jugendbehörde genau das, was in den Amtsstuben gedacht wurde: «Man sollte Manfred Weißleder auf keinen Fall zu einem Märtyrer machen. Er ist Geschäftsmann und Lokalinhaber wie viele andere auch, und man sollte nicht sagen, daß er sich besonders für die Jugend eingesetzt habe. Der Star-Club ist nicht gut und ist nicht schlecht. Keineswegs ist er ein Zentrum für die Jugend.»

So bestätigte dann das Verwaltungsgericht auch den Konzessionsentzug und wies Weißleders Einspruch zurück. Am 23. Juni 1964 waren die Pforten des Star-Club geschlossen.

Die Gäste, die am Abend kamen, standen vor versperrten Türen. Sie setzten sich auf der Großen Freiheit nieder und forderten in Sprechchören: «Star-Club auf!» Immer mehr kamen, bis schließlich die Große Freiheit fast total blockiert war. Auf der Reeperbahn staute sich der Verkehr. Polizei rückte an, es sah nach einer Kraftprobe aus. Doch der Protest blieb friedlich, schließlich zerstreute man sich. Nur Bild fragte tags darauf entsetzt, warum die Polizei die Club-Demonstranten nicht per Knüppel auseinander trieb.

Doch die Zwangspause dauerte nur zwei Tage. Am 25. Juni war.der Eingang wieder offen, rockten wieder die Bands. Manfred Weißleder hatte sich etwas einfallen lassen: Die Konzession war jetzt auf Hans Bunkenburg übertragen. Bunkenburg füngierte offiziell als Geschäftsführer der Star-Club GmbH, die wiederum persönlich haftender Gesellschafter der Weißleder KG war, die nach wie vor von Weißleder geleitet wurde. Im Klartext: Alles blieb praktisch beim alten, Weißleder behielt alles unter Kontrolle. Nur zeichnungsberechtigt war er nicht mehr - alle Unterschriften mußten von Bunkenburg geleistet werden.

Da Manfred Weißleder nun aber nicht mehr direkt für den Club verantwortlich war - er kümmerte sich vorwiegend nur noch um die Neu-Engagements -, konnte er seine Aktivitäten auf andere Gebiete verlegen. Er trieb die Star-Club News voran und versuchte, aus der einstigen Programmvorschau seines Hauses ein ernsthaftes Musikblatt zu machen, mit dem man gleichzeitig die eigenen Gruppen gut pro-moten konnte. Er organisierte einen Wochenendflug für hundert Jugendliche nach London und Liverpool, inklusive Besuch eines Beatles-Konzerts für den Spottpreis von 190 Mark. Er etablierte das neue Label Star-Club-Records auf dem Plattenmarkt und ließ Star-Club-LPs in den USA, Japan und Australien veröffentlichen. Und er plante, in der Eibmündung außerhalb der Dreimeilenzone einen Piratensender zu installieren, um damit Radio Luxemburg Konkurrenz zu machen. Das klappte letztlich nicht, weil sich Deutschland dem Straßburger Abkommen gegen Senderpiraterie anschloß. Doch Weißleders andere Projekte blühten und gediehen.

Er belieferte den Bremer TV-«Beat-Club», der ursprünglich sogar direkt aus dem Star-Club senden sollte, regelmäßig mit Bands. Ein Rundfunksender in Chicago brachte dreimal wöchentlich halbstündige Live-Sendungen aus dem Star-Club. Fernsehen und Presse aus ganz Europa reisten an, um aus der Großen Freiheit zu berichten. Die Rattles wurden unter seinem Management zur führenden kontinentaleuropäischen Band, tourten 1966 mit den Beatles durch Deutschland und drehten einen eigenen Spielfilm.

Im März '66 konnte der blonde Zwei-Meter-Mann seinen größten Sieg verbuchen. Seit seinem Konzessionsentzug hatte er gegen die Entscheidung geklagt - jetzt bekam er recht und die Konzession zurück. Begründung: Er habe seine Aufsichtspflicht damals nicht verletzt. Daraufhin verklagte Weißleder im Gegenzug gleich Amtmann Falck wegen «wissentlich falscher Aussagen»: Falck hatte behauptet, seit dem Konzessionsentzug habe es keine Schlägereien mehr gegeben. Weißleder dagegen konterte, es habe sich nichts geändert. Damit kam er allerdings nicht durch. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen Falck bald ein. Man kennt das ja von den Krähen.

Die Prozessiererei aber hatte Manfred Weißleder viel Zeit und Energie gekostet. Ein anderer Rückschlag kam dazu: Im Dezember 1965 war er gezwungen, die Star-Club News, die sich mittlerweile zu einer echten Alternative zu Bravo und Musikparade entwickelt hatte, einzustellen. Rechtliche Verpflichtungen gegenüber dem Hamburger Heinrich Bauer Verlag, mit dem er im Juli eine Verlagsgemeinschaft eingegangen war, ließen ihm keine andere Wahl. Gemeinsam mit dem Großverlag wollte er aus seiner News ein großes Jugend- und Musikblatt machen, nun wollte Bauer plötzlich unabhängig eine eigene Zeitschrift (OK) starten, die im Gegensatz zur kritischen News eine der üblichen Pop-Schmonzetten werden sollte. Anfänglich sollte die News nur für kurze Zeit eingestellt werden. Doch sie erschien niemals wieder.

Damit fehlte Weißleder das Sprachrohr, das er dringend benötigte. Unter anderem für ein neues Projekt, die «Star-Club International Union». Das sollte eine Organisation werden, deren Mitglieder überall in Europa in Clubs, Konzerten, Plattenläden, Boutiquen und anderen Geschäften gegen Vorlage des Clubausweises Prozente bekommen. In England hatte der Discjockey Jimmy Saville schon etwas Ähnliches gestartet. Weißleder wollte das deutsche Gegenstück dazu aufbauen. Jetzt ging es nicht mehr.

Im Herbst 1966 kam ein weiterer Schlag: Rattles-Gitarrist Achim Reichel mußte zur Bundeswehr. Selbst Manfred Weißleder schaffte es nicht, den Star seiner populärsten Band vor der Kaserne zu retten. Damit war die Rattles-Karriere auf ihrem Höhepunkt geplatzt - wenige Monate später sollte ihre erste USA-Tournee stattfinden. Doch ohne den quirligen Mittelpunkt Achim verloren die Fans bald das große Interesse an der Band. Ruhm ist nur kurz, und 18 Monate Heimatverteidigung zu lang. Langsam begann Manfred Weißleder, sich zurückzuziehen. Er kümmerte sich nach wie vor um das Star-Club-Programm, holte Cream, Hendrix und Animals, doch spektakuläre Aktionen wie früher blieben nun aus. Im September '67 hörte er ganz auf. Über seine Gründe sagte er nur: «Der Star-Club war nur eines der Lokale, die ich auf St. Pauli habe. Und ich wollte endlich mal aus diesem Nachtgeschäft raus und habe mich deshalb 1967 zurückgezogen. Zurückziehen ist gleichbedeutend mit verpachten, denn wenn man nicht selbst in einem Betrieb ist, den man selbst bewirtschaftet, geht er automatisch runter. Ich habe also das Nächstliegende getan und verpachtet an meinen Geschäftsführer,

der das eigentlich kennen mußte. Und leider ist das dann doch später immer schlechter geworden, so daß ich '69 das Geschäft zugemacht habe.» Vielleicht wollte er nicht mehr weiterkämpfen, vielleicht sah er auch als erster das Ende der großen Beat-Zeit nahen - Manfred Weißleder ging jedenfalls und zog sich total zurück. Die monatliche Pacht seiner diversen Lokale sicherte ihm regelmäßige Einnahmen. Alles andere interessierte ihn nicht mehr. 1970, als der alte Star-Club geschlossen war, liebäugelte er noch einmal mit den alten Zeiten: «Ich habe da mit dem Gedanken gespielt, so was wieder aufzumachen. Aber es gibt einfach keine Räumlichkeit, die die Besucherzahl faßt, die man benötigt, um Stars bezahlen zu können. Man muß 2500 Leute da reinbringen, immer, sonst werden die Preise zu hoch.» Schließlich gestattete er Jahre später einem anderen, es noch einmal zu versuchen: «Es gibt einen einzigen Mann, dem ich die Rechte übertragen habe, allerdings in begrenztem Umfang und auch nur an einer bestimmten Stelle einen neuen Star-Club zu betreiben, und das ist Horst Fascher. Das ist ein früherer Freund von mir, und er war auch früher Geschäftsführer bei mir. Dem habe ich das Recht zugestanden. Sonst gibt's keinen, der das dürfte, denn ich habe ja nach wie vor die Rechte an der Etablissements-Bezeichnung.» Das ist die Geschichte von Manfred Weißleder und dem Aufstieg und Niedergang des Star-Club-Imperiums. Um sie vollständig erzählen zu können, mußten wir in der Zeit ein wenig vorgreifen. Wie es aber nach seinem Lizenzentzug 1964 im Star-Club selbst weiterging, steht im nächsten Kapitel.
 

 

Editorischer Hinweis

Der Text wurde entnommen aus:

Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S.
147ff

OCR-Scan by red. trend

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