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TREND ONLINEZEITUNG
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
 
"Cola, Bier - oder raus!"
Fans und Kellner im Star-Club
 

Zwei Welten existierten im Star-Club. Einmal waren da die Musiker, auf und hinter der Bühne. Und dann gab es die Leute vor der Bühne: das Publikum. Die Fans.

Achim Reichel: «Das Star-Club-Publikum am Anfang war, wie soll ich mal sagen, ziemlich proletariermäßig. Es war reichlich St. Pauli-durchtränkt, Eimsbüttel, Barmbek, so aus der Gegend. Und es gab einige wenige, das waren denn schon so erlauchte Kreise, also sogenannte Exis, die ins Rocklager übergewechselt sind. Wie Astrid Kirchherr und irgendwelche Schülerinnen und Schüler und Kunststudenten, also auch Leute aus wohlbehüteten Familien. Aber im wesentlichen war das schon ein ziemlich rauhbeiniges Publikum.» Rockmusik war 1962 noch Untergrund, Subkultur, der Sound einer kleinen radikalen Minderheit. Dazu noch auf St. Pauli, wo mit der Faust diskutiert und mit dem Messer kassiert wurde, mitten im Kiez-Milieu - das schreckte zunächst die breiten Kreise der Jugend und viel mehr noch ihre Eltern ab. Doch Verbote bewirken meist das Gegenteil, und mit der Zeit kamen sie doch alle.

Einer von ihnen war Frank Dostal, der noch nicht im Traum daran dachte, daß er später einmal als Rattles-Sänger auf der Star-Club-Bühne stehen sollte:

«Ich war ein halbes Jahr nach der Eröffnung zum erstenmal da, vorher war ich nur ein paarmal im Top Ten. In den Star-Club ging man nicht als Bürger-söhnchen, weil es hieß, da seien nur die Rocker. Ich war vorher schon mal in so einem kleinen Lokal in der Freiheit gewesen, und da hab ich sofort eine riesige, blutige Schlägerei gesehen. Und als ich dann hörte, daß im Star-Club nur Rocker seien, die ja damals durchweg sehr gewalttätig waren, bin ich eben nicht hingegangen. Das hat sich aber geändert, als ich hörte, daß die Beatles dort wieder spielten, da hab ich mich dann mal getraut. Und ich war gleich unheimlich begeistert. Was einem bis dahin an Unterhaltung geboten wurde, war doch entweder Fernsehen, Peter Frankenfeld oder so was, oder Jazz, also Dixieland oder Modern Jazz. Und daß da irgendwie so Typen auf der Bühne waren, mit denen man sich wesentlich eher identifizieren konnte und die die Musik live machten, die man nur von Platten her kannte, das hat den wesentlichen Kick ausgemacht. Ich bin dann auch vom erstenmal an mindestens zweimal die Woche im Star-Club gewesen. Das war in den Augen meiner Mutter und sonstiger Verwandter ganz schön gefährlich, so oft nach St. Pauli zu gehen. Aber in Wirklichkeit war das ganz cool, weil die Typen auf St. Pauli und die Portiers immer gleich gesehen haben: Der will zum Star-Club, und da haben sie uns nie dumm angemacht. Lederjacken und so was wurden im Star-Club eigentlich nicht getragen. Die Leute hatten alle Anzüge an, Krawatten und Nyltesthemden. Wer damals dazu noch Cowboystiefel besaß, war ganz besonders progressiv. Sie machten sich sorgfältig zurecht, wenn sie hingingen, das war richtig Ausgehen. In erster Linie ging man ja auch hin, um Musik zu hören und zu tanzen, nicht um rumzuhängen, dazu war der Star-Club zu faszinierend. Jeden Tag war es gerammelt voll. Der Star-Club war für die Jugend so was wie die Dame ohne Unterleib, die totale Sensation, deshalb kamen auch immer so viele.» Dafür gab es auch noch einen anderen Grund. Frank Dostal: «Der Star-Club war schon am Anfang so eine Art Gegenkultur, auch wenn es den Leuten damals nicht so bewußt war. Die gesellschaftlichen Verhaltensnormen, die außerhalb des Star-Club galten, hatten hier keine Funktion. Im Star-Club funktionierte alles viel <jugendlicher> als draußen. Die Eltern hatten hier nichts zu sagen, die einzigen Autoritäten waren die Musiker. Und die Kellner.» Dieter Horns: «Für mich waren das alles Stars, die da spielten. Ich war damals sechzehn und mehr der Typ, der hinten stand, sich alles anguckte und am Anfang um 10 Uhr wieder nach Hause mußte. Es war gar nicht schwierig, die Musiker kennenzulernen. Ich saß oft hinten an der Bar, wo die Bettina . arbeitete, und wenn die Beatles mit ihrem Set fertig waren, kamen sie immer alle zu Betty und haben sich erst mal 'nen Whisky reingezogen und mit den Torten gequatscht. Das war alles sehr beeindruk-kend.»

Natürlich ging es im Star-Club nicht zu wie bei einem Damenkränzchen. Frank Dostal: «Geprügelt wurde da reichlich, und zwar immer kurz und bündig. Die Kellner hatten immer eine lockere Faust, wenn einer nichts trinken wollte, sich ihren Anweisungen nicht fügte, oder wenn besoffene Seeleute Alarm machten. Ich hab mal gesehen, wie ein Kellner einen Schweden mit einem Schlag gegen die Tür vom Notausgang geschmettert hat, daß die aufging und der Kerl durch sie durch hinten auf den Hof flog. Die Kellner und Geschäftsführer waren ja auch alle ganz stämmige Burschen mit breiten Schultern.»

Die Kellner in den weißen Jacken lebten nach eigenen Gesetzen. Einer von ihnen, der anonym bleiben möchte: «Wir wollten in erster Linie verdienen. Also haben wir uns darum gekümmert, daß die Kasse stimmt. Außerdem wurden wir und unsere Umsätze ja auch von der Geschäftsleitung kontrolliert. Oft saß Weißleder versteckt auf dem Balkon und beobachtete uns. Oder er schickte Freunde, die er dafür bezahlte, als geheime Kontrolleure. Weil es meistens für Gespräche zu laut und der Laden auch zu voll war, sind wir oft zu zweit losgezogen. Der eine hatte 'ne Kiste voll Bier und Cola, und ich stand da und guckte die Leute nur an oder deutete mit dem Finger und strengem Blick auf sie. Dann wußten die gleich Bescheid, daß sie jetzt die Wahl hatten: Cola, Bier - oder raus. Wenn einer von denen Ärger machte, waren gleich die ganzen Kollegen da. Der hatte dann keine Chance. Stand irgendwo ein halbvolles Bier herum, dessen Besitzer auf dem Klo war oder wegguckte, hab ich die Flaschen eingesammelt und aus den angebrochenen wieder volle Flaschen gemacht, die dann noch mal verkauft werden konnten, auf eigene Rechnung. Solche Betrügereien gegenüber der Geschäftsleitung haben fast alle gemacht, auch die Barfrauen. Die verkauften hinter ihren Tresen zum Teil Flaschen, die sie sich selbst aus dem Supermarkt mitgebracht hatten. Das war bekannt, aber nur schwer zu kontrollieren.

Wenn irgendwelche Star-Gastspiele liefen, kamen oft Typen zu mir und sagten: «Hier sind 10 Mark, laß doch mal meine vier Freunde durch den Notausgang rein.> Solche Geschäfte haben wir natürlich auch immer gern gemacht.
Später dann haben wir das 50-Pfennig-Ritual eingeführt. An einer Cola oder 'nem Bier verdienten wir nämlich 35 Pfennig. Also brauchte jemand nichts zu trinken, wenn er uns 50 Pfennig gab. Die kassierten wir so zwei- oder dreimal am Abend, er kam billig weg und wir verdienten mehr daran, als wenn er was getrunken hätte. Wer also Bescheid wußte, keinen Ärger machte und sich nicht zu lange an seiner Cola festhielt, hatte mit uns eigentlich keine großen Probleme.»

Probleme gab es nur allabendlich für diejenigen im Star-Club, die noch keine achtzehn waren. Offiziell durfte man erst ab sechzehn herein, aber mit einer wilden Brisk-Tolle über dem Konfirmationsanzug oder Stöckelschuhen, Lippenstift und hochtoupierter Bienenkorbfrisur schafften es einige doch. Um 21 Uhr 50 aber, wenn die Star-Band ihren ersten Auftritt beendet hatte, schlug per Ansage aus dem Hauslautsprecher die Stunde der Wahrheit, die stets etliche Gäste dazu brachte, schlagartig ein paar Jahre älter auszusehen:
«Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten ist es 22 Uhr. Alle Jugendlichen unter achtzehn Jahren müssen jetzt den Star-Club verlassen. Die Kellner sind angewiesen, eine Ausweiskontrolle durchzuführen. Personen, die sich nicht ausweisen können, müssen ebenfalls das Haus verlassen. Den Anweisungen der Kellner ist unbedingt Folge zu leisten. In zehn Minuten geht es dann weiter im Star-Club mit . . .»

Dieter Horns: «Dann sind wir immer rauf und runter gerannt oder oben auf den Balkon, immer hin und her, und wir haben immer 'ne Ecke gefunden, wohin wir uns verdrücken konnten, bis die nächste Band wieder spielte. Oder wir gingen raus und kamen eine halbe Stunde später ganz frech wieder zurück.»
Oder Kuno Dreysse, der später sogar selbst Geschäftsführer im Star-Club wurde: «Ich hatte immer ein bißchen Schiß vor den Kellnern. Deshalb hatte ich immer 5 Mark in der Tasche, davon konnte ich zwei Bier bestellen. Eines am Anfang und eins so kurz vor 10 Uhr, damit der Kellner dann an mir vorbeiguckt.»

Der Star-Club wurde zum Mittelpunkt der Welt, der eigenen Welt: «Wir standen da jede Nacht vorne direkt an der Bühne und konnten das Weiße im Auge der Musiker sehen, und die rockten los, und wir boppten mit und hauten mit unseren Bierflaschen dazu den Takt auf die Bühnenbretter. Und wenn eine Nummer wie What'd I Say kam, mit 'nem guten Refrain oder 'ner Echostelle, haben wir alle laut mitgebrüllt. Man kannte zwar immer ein paar Leute im Star-Club, aber meistens war man irgendwo in der Masse eingekeilt, und alle waren tierisch drauf. Mit der Zeit lernte man dann auch ein paar Musiker kennen, und wenn man mit denen dann zu Gretel & Alfons ein Bier trinken ging oder sogar mal hinter die Bühne durfte, war man ganz stolz und fühlte sich wie der King.»

Vor allem dieser direkte Kontakt zu den Musikern im Star-Club war ein einmaliges Erlebnis. «Es traten wirklich alle wichtigen Gruppen auf, alles, was
Rang und Namen hatte. Und man sah die Bands nicht nur einmal, sondern wochenlang, jede Nacht ein paarmal. So dicht wie im Star-Club kam man sonst nirgends an sie ran. Wenn die Musiker auf der Bühne ihren Kopf schüttelten, bekam man den Schweiß ab, und rief man ihnen zu, daß sie diese oder jene Nummer spielen sollten, so taten sie es auch. So eine totale Einheit zwischen Musiker und Publikum wie damals im Star-Club gibt es heute nirgends mehr.»
Faszinierend war auch die Sache mit dem Vorhang: «Kurz bevor die nächste Band begann, bewegte sich der Vorhang schon immer sehr geheimnisvoll. Man hörte, daß sich dahinter etwas tat, ab und zu rülpste auch schon mal jemand unsichtbar ins Mikrofon oder machte sonst irgendwelchen Quatsch. Dann kam von irgendwo hinter der Bühne die Ansage, die Band begann mit ihrer ersten Nummer, und ganz langsam öffnete sich der Vorhang nach beiden Sei
ten und zeigte, wer sich dahinter verbarg. Das war jedesmal wie Weihnachten beim Geschenkeauspacken!»

Bald kamen fast eine Million Besucher im Jahr. War ein Jugendlicher in Hamburg, führte ihn sein erster Weg in den Star-Club. Manche reisten sogar aus England, Frankreich und Skandinavien an, nur um ein paar Nächte im berühmten Club an der Großen Freiheit zu verbringen. Verzweifelte Eltern schrieben Briefe und riefen im Star-Club-Büro an, ob ihr ausgerissener Sohn oder ihre verschwundene Tochter nicht gesehen wurde. Je länger die Haare der männlichen Gäste wurden, desto mehr drängten sich vor der Bühne mit der Manhattan-Skyline. Viele von ihnen kamen jahrelang, verbrachten hier ihre Jugend und erlagen Nacht für Nacht der Faszination des dämmrigen Saals und der unaufhörlich rockenden Bands. Hier gab es alles, wonach man hungerte. Man war unter sich und hatte den Sound, der nur einem selbst gehörte. Der Star-Club war ein kleines Stück Freiheit in einer feindlichen Welt, die von Autoritäten, Verboten und Zwängen beherrscht war und alles, was Spaß machte, bekämpfte und zu unterdrücken versuchte. Wie den Rock und den Beat, Sex, die langen Haare und sogar das Jungsein überhaupt.

Im Star-Club aber fand das wahre Leben statt.
 

 

Editorischer Hinweis

Der Text wurde entnommen aus:

Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S.
132ff

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