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TREND ONLINEZEITUNG
Archiv Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg
13.4.1962 - 31.12.1969
 
"Be-Bop-A-Lula" live
Die Superstars des Rock´n Roll zum Anfassen

Die vielen Bands aus Liverpool, London, Manchester, Birmingham, Dublin oder Glasgow waren Herz und Rückgrat des Star-Clubs. Für viele war der Star-Club ihre «Lehrzeit», manche der Gruppen und Musiker, die damals Nacht für Nacht auftraten, machten später Karriere und ließen dadurch die Geschichte des Star-Club zur Legende werden. Doch damals waren sie nur der «Alltag», unbekannte Musiker von vielen, bestenfalls Lokalgrößen. Den frühen Ruhm des Star-Club begründeten andere: die Superstars des Rock 'n' Roll.

Manfred Weißleder wollte mehr als nur einen Twistschuppen, der sich bis auf die Größe und die zahlreicheren Bands nicht von den anderen Rockclubs in Hamburg unterschied. Er wollte mehr als nur Bands, die fremde Songs nachspielen. Er wollte die Originale. Und er holte sie:

Gene Vincent war der erste echte Rock-Star, der im Mai 1962 die Bühne des Star-Club betrat. Be Bop A Lula live - das jagte dem Publikum einen Freudenschauer nach dem anderen über den Rücken. Seit Bill Haley 1958 war kein echter großer Rocker mehr in Deutschland gewesen, und nun dies! Der Star-Club war brechend voll, und in der ersten Reihe standen die jungen Musiker aus England mit großen Augen, weil auch sie hier ihr großes Idol zum erstenmal hautnah erlebten. Unter den Engländern, die vor Staunen den Mund nicht mehr zubekamen, befanden sich auch die Beatles. Sie holten sich von Gene Vincent Autogramme, ließen sich mit ihm fotografieren und durften sogar mit Gene zusammen ein bißchen jammen. Vincents Erfolg war so gewaltig, daß er auch in den folgenden Jahren immer wieder in den Star-Club zurückgeholt wurde. Bis 1965 trat er insgesamt mehr als 60 Tage an der Großen Freiheit auf, mit wechselnden Begleitbands, darunter den Outlaws mit Ritchie Blackmore an der Gitarre. Doch Gene Vincent war nur der Anfang. Vom 24. September bis zum 7. Oktober gastierte die nächste Rock-Sensation: Bill Haley persönlich! Bei Hamburgs Polizei herrschte Katastrophenstimmung. Mit Schrecken erinnerte sie sich an die Straßenschlachten vor vier Jahren und bereitete ihre Einsatztrupps unter größten Bedenken auf einen neuen Nahkampf vor. In Star-Club-Nähe wurden Wasserwerfer postiert, eine Hundertschaft saß abrufbereit. Doch im Gegensatz zu den Veranstaltern von früher war man im Star-Club Begeisterung und tanzende Fans gewohnt und sah ihren Jubel nicht als beginnenden Aufruhr an, der nur noch mit Gummiknüppeln gestoppt werden konnte. Alles blieb friedlich, und Haley kehrte auch später noch mehrmals an die Große Freiheit zurück. Insgesamt gastierte er 28 Tage.

Und während Bill Haley noch sein zweiwöchiges Gastspiel gab, kam am 30. September schon die nächste Granate: Little Richard, der Leibhaftige des Rock, frisch zurück aus dem selbstgewählten Kloster-Exil, um der Welt wieder die Botschaft von Tutti Frutti zu bringen. Begleitet von der Sounds In-corporated legte er im Laufe seiner Show einen fast kompletten Striptease auf die Bretter und hatte einen derartigen Erfolg, daß er schon für Anfang November wiedergebucht wurde. Bis Ende 1964 trat Little Richard insgesamt 23 Tage im Star-Club auf.

Am 29. Oktober landete auf dem Hamburger Flughafen eine Maschine aus Nizza. An Bord: Fats Domino mit seiner Band. Am gleichen Abend gab er zwei Konzerte, die bis heute zu den absoluten Höhepunkten in der Geschichte des Clubs gezählt werden. Nach den Shows gefiel es Fats im Star-Club so gut, daß er seine Musiker allein ins Hotel zurückschickte. Fats kletterte zurück auf die Bühne, klemmte sich hinters Piano und machte mit den anwesenden Gruppen - darunter den Searchers und Gerry & the Pacemakers - noch stundenlang weiter. Bis ihn schließlich um 6 Uhr sein Manager direkt vom Piano zum Flugplatz schleppte. Die Rock 'n' Roll-Größen kamen Schlag auf Schlag. Für Ray Charles wurde am 10. Mai '63 die Bühne in ein Blumenmeer verwandelt und 'extra vergrößert, damit seine komplette Bigband darauf Platz fand. Ohne mit der Wimper zu zucken, zahlte Manfred Weißleder eine Rekordgage von 60000 Mark, um Ray Charles, der sonst nur in den größten Hallen Amerikas auftrat, für eines seiner seltenen Club-Gastspiele zu gewinnen. Und im Gegensatz zu sonst ging es in dieser Nacht richtig feierlich zu: Alle lauschten voll Hingabe den Tönen des Meisters. Zwei Tage später donnerte wieder das altbekannte Trampeln und Brüllen durch den Saal an der Großen Freiheit. Jerry Lee Lewis, der Killer am Piano, das Tier am Klavier, begann sein erstes einwöchiges Engagement. Reihenweise fielen Mädchen in Ohnmacht, wenn Jerry Lee sich mit einem goldenen Kamm die Locken ordnete. Begleiten ließ er sich von den Nashville Teens, später auch von den Out-laws. Einer seiner Auftritte wurde im Star-Club für eine LP mitgeschnitten, die im gleichen Jahr von amerikanischen Fachjournalisten zur besten bisherigen Live-Aufnahme der Welt erklärt wurde. Es kamen die Everly Brothers (2 Tage), Bö Diddley (3 Tage) und Duane Eddy (8 Tage). Und schließlich kam auch Chuck Berry. Der hatte wie üblich seine Gage bereits im voraus kassiert und wollte fünf Minuten vor dem ersten Auftritt noch 1000 Dollar zusätzlich. Hans Bunkenburg: «Er war ein richtig Verrückter. Wir mußten ihn hinter der Bühne einschließen, damit Berry nicht abhaute. Als er dann mehr Gage forderte, haben wir die Hintertür versperrt und ihm gesagt, wenn er nicht spielt, müsse er durch den vollen Saal gehen, wenn er raus wolle. Da ist Berry dann doch zum vereinbarten Preis aufgetreten!»

Wie es bei diesen Auftritten zuging, weiß Pico noch genau: «Da kam man nicht mehr durch den Club durch, weil es gerammelt voll war. Da konnte kein Kellner mehr arbeiten, da ging gar nichts mehr. Die ganze Menge jodelte, damit es losging. Wenn dann der Star kam, stürzte erst mal alles zur Bühne und jeder wollte rauf. Ich mußte die Leute zurückstoßen, und weil ich das ja nicht allein schaffen konnte, haben mir immer ein paar Jungs dabei geholfen. Da fielen irgendwelche Weiber in Ohnmacht, denen hab ich dann erst mal 'n Glas Wasser gebracht. Bei Jerry Lee Lewis, Gene Vincent, Brenda Lee, Wee Willie Harris, überall das gleiche. Alle wollten auf die Bühne, auch die Frauen, alles, was da vorne war. Die haben sich so gequetscht, daß sie ohnmächtig wurden. Wir haben sie dann rausgezogen und gleich wieder in die Menge geschmissen, so, wie sie waren.»

Neben den Rock-Königen wurde jede Menge weiterer Prominenz für Star-Gastspiele gebucht. Bis zum August '64 gastierten außerdem Johnny & the Hur-ricanes (36 Tage), The Tornados (18), Joey Dee & the Starliters (2l), Chubby Checker (2), Johnny Kidd & the Pirates (56), Tommy Roe (4), Brenda Lee (l), Wee Willie Harris (31), Screaming Lord Sutch (34), Little Eva (1), Vince Taylor (21), Emile Ford (42), Joe Brown (3) und Millie (l Tag). Der Millie-Auftritt war ein Drama für sich. Sie stand gerade mit My Boy Lollipop in den Hitparaden, hatte für den gleichen Tag Verträge mit dem Star-Club und einem Lokal in Kiel abgeschlossen und für beide Veranstaltungen im voraus kassiert. Eine Band hatte sie nicht, also überredete ihr Manager den gerade anwesenden Klaus Doldinger, am Nachmittag schnell noch eine Begleitgruppe zusammenzustellen. Wie und was die Gruppe allerdings begleiten sollte, wußte niemand. Noten gab es nicht, und so konnte nur nach einer LP grob geübt werden. Ohne Millie - die kam erst 15 Minuten vor ihrem Auftritt und erklärte, daß sie ihre Songs von der LP nicht mehr auswendig kenne. Das Chaos war vorprogrammiert, und Doldinger tarnte sich daraufhin mit der blonden Lockenperücke seiner Frau, damit ihn auch ja niemand erkennt. Die Band ging auf die Bühne, spielte zwei Nummern, dann kam Millie, und alles war zu spät. Vier Songs lang kämpfte jeder gegen jeden, dann verschwand Millie wieder und meinte, ihre Arbeit sei getan. Und während das Publikum noch buhte, war sie schon auf dem Weg ins Hotel. Nach Kiel fuhr sie an dem Abend auch nicht mehr. Wozu auch - das Geld hatte sie ja schon. Dieser Vorfall aber blieb eine Ausnahme. Alle anderen Stars kamen pünktlich, boten Leistung und spielten oft länger, als sie vertraglich eigentlich mußten. Manfred Weißleder hatte es geschafft: Während in Deutschlands Konzertsälen nur bunte Schlagerabende stattfanden, lief in seinem Club genau das Programm, auf das die Rock-Fans seit Jahren voll Sehnsucht gewartet hatten, hautnah und zum Anfassen für Eintrittspreise von 3 oder 5 Mark (nur Ray Charles kostete wegen der Supergage 20 Mark). Selbst in den Mutterländern von Beat und Rock 'n' Roll, in England und den USA, gab es kein vergleichbares Lokal, das ein so geballtes Rockprogramm der Spitzenklasse bot.

Nach zwei Jahren war der Star-Club nicht mehr nur ein Musikclub von vielen. Sondern genau das, was als Werbespruch auf Pullovern und Aufklebern stand:

«The most famous Beat-Club in the world».
Der berühmteste Beat-Club der Welt.

 

Editorischer Hinweis

Der Text wurde entnommen aus:

Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S.
67ff

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