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Rock und Revolte
Der Star-Club Hamburg 13.4.1962 - 31.12.1969 |
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Halbstark, Moped,
Petticoat Alles begann Ende 1959 mit dem Kaiserkeller. An der Ecke Große Freiheit/Schmuckstraße in St. Pauli eröffnete der Gastronom Bruno Koschmider Hamburgs ersten Rock'n'Roll-Club. Tür an Tür mit Striptease-Läden und Neppkneipen standen hier plötzlich schwitzende junge Engländer mit Lederjacken und gefährlichen Haartollen auf der Bühne, ließen die Gitarren donnern und brüllten dazu heisere Liebeserklärungen an Lucille, Carol, Peggy Sue und Miss Molly durch ihre 30-Watt-Verstärker. Für die Jugendlichen damals, die «Halbstarken», war dieser Club eine Offenbarung. Denn seit Bill Haley 1958 bei seiner ersten Deutschland-Tournee in Stuttgart, Essen, Berlin und Hamburg wilde Saal- und Straßenschlachten zwischen seinen Fans und einer knüppelschwingenden, tränengaswerfenden Polizei ausgelöst hatte, lief nichts mehr bei uns in Sachen Rock. Eine riesige Pressekampagne hatte anschließend dafür gesorgt, daß diese Musik, die für Erwachsene wie Obrigkeit ohnehin der Beginn des abendländischen Untergangs war, fast völlig unterdrückt wurde. «Die Moral von der Geschieht: Schlußmachen mit diesem unsinnigen und geistlosen Urwaldgetöse, das die Bezeichnung <Konzert> nicht verdient!» forderte nach den Haley-Krawallen Bild-Leser: Jakob Theobald aus Rodenkirchen. Und so geschah es auch. Was blieb, waren dünnblütige, angepaßte Schlagerbubis wie Peter Kraus, Tommy Kent und Ted Herold (der immerhin noch der «härteste» von ihnen war), die amerikanische Rock-Originale so lange verwässerten und eindeutschten, bis nichts mehr von ihnen übrig war. Oder die sich ihre Songs gleich von der damals marktbeherrschenden deutschen Schmand- und Schlagermafia schreiben ließen. Das war dann auch kein Rock mehr, sondern, wie es so schön hieß, «Teenagermusik». Auf der anderen Seite, neben der Teenagermusik und den fast alles beherrschenden Schlagern (Leute wie Ivo Robic, Fred Bertelmann, Rene Carol und Heidi Brühl machten mit ihren Singles Millionenauflagen), gab es eigentlich nur noch Jazz, Oldtime und Dixieland. Chris Barber, Papa Bue und Max Collie waren die Könige, Ice Cream, Tiger Rag und Down By The Riverside ihre Hymnen, die überall, bei unzähligen Konzerten und an jeder Ecke aus Jazzclubs, -kellern und -kneipen erklangen. Die Exi-Szene hatte ihre goldene Zeit. Rockmusik dagegen verschwand fast völlig von der Bildfläche. Nur wenige Platten von Elvis, Bill Haley und Cliff Richard waren offiziell erhältlich. Wer auf Eddie Cochran oder Chuck Berry scharf war, mußte sich seine Singles zeitraubend und umständlich importieren lassen. Es gab nur einen Lichtblick: den englischen Soldatensender BFBS und Chris Howland mit seinem «Saturday Club» im WDR. Dieter Horns, Bassist der German Bonds: «Das war dann so jeden Sonnabend: Da saß man mit dem Tonband neben dem Radio und hat gehört, und das ging auch ganz höllisch ab. Mein Schulfreund damals, als ich in der 9. Klasse war, hatte schon ein Tonband, und wir haben dann sonnabends abends immer die <Saturday Club>-Dinger gehört, die er aufgenommen hatte. Da gab's auch immer so Raritäten, weil die Gruppen für diese Sendung ja extra live gespielt haben. Da waren ihre Stücke dann immer irgendwie 'n bißchen anders orientiert, weil die ja hauptsächlich ihre englischen Gruppen da gespielt haben, nicht so sehr die amerikanischen. Sonst gab es nur noch die Hitparade damals, die ab und zu mal was gespielt hat. Das einzige Direkte aber in der Art war tatsächlich Chris Howland jeden Sonnabend ...» In diese Situation hinein öffnete der Kaiserkeller und brachte als erster Club in Deutschland Rockmusik regelmäßig live auf die Bühne. Als erste Gruppe war Tony Sheridan mit seiner Band gebucht, später kamen Gruppen wie Rory Storm & the Hurricanes, Howie Casey und Derrie Wilkie & the Seniors. Horst Fascher, damals Kellner auf St. Pauli und später Geschäftsführer von Top Ten- und Star-Club: «Also das war für uns Halbstarke das absolut Größte. Hier konnten wir zum erstenmal die Musik live hören, die wir vorher nur von Platten gekannt hatten und von der wir nicht genug kriegen konnten. Es war uns völlig egal, ob die Bands nun immer genau den richtigen Ton trafen oder nicht - Hauptsache, sie waren laut, wild und gaben kräftig Zunder.» Das taten die Gruppen alle, und deshalb war der Kaiserkeller von Anfang an jeden Abend voll. Das mobilisierte die Konkurrenz: Wenig später eröffnete der Gastronom Peter Eckhorn mit dem Top Ten-Club an der Reeperbahn das zweite Hamburger Rocklokal. Auch das Studio X über dem Kaiserkeller bot kurz darauf englische Rockbands an. Und am 18. August 1960 etablierte Kaiserkeller-Besitzer Bruno Koschmider in der Großen Freiheit seinen zweiten Rockclub: das Indra, einen ehemaligen Stripschuppen. Zur Eröffnung spielte erstmals in Hamburg eine Band, die später die Legende der frühen St. Pauli-Szene begründen sollte: die Beatles. St. Pauli war zu jener Zeit ein recht rüdes Pflaster, Hamburgs Wilder Westen. Der Konkurrenzkampf zwischen Neon, Nepp und Nutten war hart, die Faust regierte, und es kam vor, daß Schlägertrupps in bester Chicago-Manier unliebsame Konkurrenzetablissements auseinandernahmen. Auch die englischen Bands lebten unter harten Bedingungen: Sie hausten zu viert oder fünft in einem Raum in Kellern, Dachböden und Abbruchhäusern und mußten für 30 bis 50 Mark pro Mann und Nacht sieben Stunden täglich Musik machen. Das funktionierte auf die Dauer nur mit Preludin - den kleinen weißen Pillen, die schnell wieder munter machen und die es auf St. Pauli an jeder Ecke gab. John Lennon: «Ich warf Pillen, seit ich Musiker wurde. Das war in Hamburg der einzige Weg zu überleben, wenn wir stundenlang spielten. Wir bekamen sie von den Kellnern - die Pillen und die Drinks.» Eine offizielle Arbeitserlaubnis hatte anfangs kaum eine Gruppe. Die meisten von ihnen - auch die Beatles - waren als «Studenten auf Ferientrip» eingereist. So ging es bis Anfang 1962. Tony Sheridan wurde zur Hamburger Lokalgröße, hatte mit Skinny Minny seinen ersten Hit und nahm im Juli '61 mit den Beatles, die gleichzeitig mit Tony im Top Ten gebucht waren und ihn zeitweilig auch auf der Bühne begleiteten, für Polydor acht Songs auf, darunter My Bonnie und Ain't She Sweet. Neue Gruppen kamen für mehrwöchige Gastspiele an die Elbe, darunter Gerry & the Pacemakers und andere Liverpooler Bands, die es zu Hause am Mersey ungleich schwerer hatten, regelmäßig aufzutreten. Trotzdem blieb die Entwicklung irgendwie stehen. Zwar brachten die Clubs jetzt Rockmusik live. Richtige Stars aber, die man von Platten und Rundfunk her kannte, traten nicht auf. Es gab nur mehr oder minder unbekannte Bands, die vorwiegend Hits anderer Leute nachspielten, selbst die Beatles machten da noch keine Ausnahme. Von Größen wie Elvis, Gene Vincent oder Jerry Lee Lewis konnte man nach wie vor nur träumen. Zudem fehlten den Clubs wichtige Voraussetzungen, um Rockmusik für ein größeres Publikum anbieten zu können: Mit Ausnahme des Top Ten waren alle Läden recht klein. Und in allen Clubs spielte nach dem Prinzip der Tanzcafes wochenlang meist nur eine einzige Band. Es war Zeit für den Star-Club. - Eines Morgens war St. Pauli mit grell orangefarbenen Plakaten vollgeklebt. «Die Not hat ein Ende! Die Zeit der Dorfmusik ist vorbei!» verkündeten die großen Lettern. Denn: «Am Freitag, dem 13. April, eröffnet der Star-Club die Rock 'n' Twist-Parade 1962». Horst Fascher erinnert sich, wie es dazu kam: «Anfang '62 arbeitete ich als Kellner im Lachenden Vagabund, einer Bierkneipe auf St. Pauli. Dort stand eine Music Box, und in die hatte ich alle Rock-Singles gesteckt, die ich damals so zusammengesammelt hatte. Weil nun im Vagabund immer die richtige Musik war, kamen morgens um 4 Uhr, wenn sie Feierabend hatten, immer die englischen Musiker vorbei, um nach der Arbeit noch ein Bier zu trinken. Und es kam auch regelmäßig ein Mann, der schon damals auf St. Pauli eine Größe war: Manfred Weißleder. Ihm gehörten zu der Zeit bereits mehr als zehn Stripläden. Manfred Weißleder kam jeden Morgen, so gegen acht, halb neun vorbei, um Kaffee zu trinken. Nach ein paar Tagen hatte er mitbekommen, daß ich die ganzen Musiker, die im Vagabund rumsaßen, gut kannte und auch in Sachen Musik ziemlich durchblickte. Vielleicht hatte er auch schon gehört, daß ich in den letzten beiden Jahren als Geschäftsführer im Top Ten und im Studio X gearbeitet hatte und Manager von Tony Sheridan war. Jedenfalls sprach er mich eines Tages an und fragte: <Du kommst ja mit den Engländern und den jungen Leuten recht gut klar. Würdest du dir zutrauen, so einen Laden zu schmeißen, der noch um einiges größer ist als das Top Ten?> <Klar!> meinte ich. Darauf Weißleder: <Kennst du das Stern-Kino in der Großen Freiheit, gegenüber vom Kaiserkeller?> Natürlich kannte ich das Kino, da liefen ja immer die ganzen Wildwestfilme. <Meinst du, man könnte dort etwas machen?> forschte Weißleder weiter. (Natürlich, das wäre ideale Nun kam Weißleder zur Sache: <Man hat mir das ganze Haus zum Kauf angeboten. Ich würde dort gern einen Rockclub aufmachen. Möchtest du dabei mitarbeiten?) - Natürlich wollte ich!» In den folgenden Wochen wurde das Haus Große Freiheit Nr. 39 völlig umgekrempelt. Die Kinositze und die Leinwand flogen raus, statt dessen wurde eine Bühne gezimmert, Leitungen verlegt und das Innere des Kinos total umdekoriert. Was letztlich vom alten Stern-Kino übrigblieb, war die große Leuchttafel über dem Eingang, auf der einst in Großbuchstaben der laufende Film angekündigt war und die jetzt für die Namen der auftretenden Bands benutzt wurde. Weiterhin blieb der gelbe Leuchtstern mit der Hausnummer 39 an der Fassade. Auch die Kinotradition, mit quer über die Straße gespannten Fahnen für das aktuelle Programm zu werben, wurde beibehalten. Der Name Stern-Kino aber wandelte sich zum Star-Club. Weißleder wußte, wie sein neuer Star-Club gegen die Konkurrenz der anderen Rockclubs gewinnen konnte. Er startete mit einem völlig neuen Konzept: Ein großer Saal, der mit der wandfüllenden Manhattan-Skyline als Bühnenhintergrund Internationalität widerspiegelt. Ein Vorhang vor der Bühne, um die Überraschung bei jeder Band zu steigern. Nicht eine, sondern mindestens vier Bands am Abend, die sich stündlich abwechseln. Dazu immer wieder richtige Star-Gastspiele. Und natürlich massive Werbung mit den Dorfmusik-Plakaten. Der Erfolg blieb nicht aus: Als der Star-Club am 13. April 1962 zum erstenmal seine Türen öffnete, stand eine Menschenschlange davor, die über die ganze Große Freiheit bis hin zur Reeperbahn reichte. Um 20 Uhr 15 war der Star-Club mit 1200 Besuchern schon so brechend voll, daß niemand mehr eingelassen werden konnte. Halb St. Pauli hatte sich eingefunden und Scharen von Rockfans dazu, um ein Programm zu erleben, das es in dieser Größenordnung in Hamburg noch nie gegeben hatte: Tex Roberg & the Graduates. The Bachelors. Roy Young. Und die Beatles. |
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Editorischer Hinweis
Der Text wurde entnommen aus:
Beckmann, Dieter
Martens, Claus
STARCLUB
Reinbek
1980
S. 11ff
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