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Archiv Rock und Revolte
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Hasch geklaut

von Rosemarie Köhler

Im „Telegraf" vom 17. 4. 1970 war unter dem Titel „Haschisch zum Ansehen" zu lesen: „Haschisch, Rohopium und andere Rauschmittel gibt es am Mittwoch, dem 22. April 1970 um 19 30 Uhr im Jugendzentrum Zehlendorf-Süd, Haus Teltow, Berlin 37, Teltower Damm 228, zu sehen. Allerdings können die dort gezeigten Rauschmittel nicht käuflich erworben werden. Professor Dr. Friedrich Bschorr vom Gerichtsmedizinischen Institut der Freien Universität und sein Team werden es wohlbewacht als Anschauungsmaterial zur Beantwortung der Frage ,Was halten Sie von Rauschgift?' mitbringen."

Das Jugendheim Haus Teltow ist ein moderner Flachbau, in dem Räume für die verschiedensten Veranstaltungen vorhanden sind. Der kleinste Raum faßt 20 Besucher, der größte über 100. Er reichte nicht aus.

Als ich die Tür zum großen Saal öffne, purzeln mir bereits einige Besucher entgegen. Knackend voll ist der Saal. Sie sitzen auf harten Stühlen, hängen auf Tischen, hocken am Boden, viele haben nur einen Stehplatz erwischt. Ich drängele mich durch, finde noch ein Sitzeckchen und kann mit Mühe durch Dutzende von Leibern hindurchblinzeln.

Auf der Bühne ist eine Leinwand aufgebaut, im vorderen Teil des Saales stehen Tische, auf denen die Rauschmittelproben zum Ansehen liegen. Gleich davor ein automatischer Diaprojektor, und mittendrin bemüht sich Prof. Bschorr um Gehör für seine Ausführungen. Er ist von Besuchern eingekeilt, sie sitzen nicht nur vor ihm, sondern stehen, sitzen und hocken wie eine lebendige Mauer um ihn herum.

Die ersten Dias zeigen Opium im Rohzustand, Spritzenbestecke, Einstichnarben von Opiumsüchtigen. Der Referent spricht ausführlich über die Gewinnung und Verarbeitung von Opium, über die Suchtgefahr der Opiate (zu denen, wie bekannt, Haschisch und Marihuana nicht gehören), über den geistigen und moralischen Verfall der Süchtigen, über ärztliche Hilfe und Verantwortung, über Kontakte zu amerikanischen Kollegen usw.

Schon während der Erläuterungen zu den Dias werden Unmutsäußerungen, Zwischenrufe und kleine Unflätigkeiten laut. Die Besucher wollen etwas anderes hören.

„Was soll denn das Gequatsche über die Gewinnung von Opium."

„Kommen Sie doch zum Thema. Rauschgift ist doch kein rein medizinisches Problem, sondern ein gesellschaftliches."

„Dürfen wir mal von dem Koks kosten?"

„Kleiner, gib mal was 'rüber."

„Wir wollen doch erst mal die Informationen hören. Seid vernünftig, Leute, laßt ihn weiterreden."

„Und wie ist es mit Alkohol?"

Prof. Bschorr hat einen schweren Stand. Er sieht sich einer Welle von Aggressionen gegenüber. Zuhörern, die ihm nicht zuhören wollen, unhöflichen Zwischenrufen, die bis zu Obszönitäten reichen. Über allem liegt eine gefährliche Stimmung, ein Knistern und Knacken, Unheil ahnend.

Selbst erfahrene Diskussionsleiter wären kaum in der Lage, in dieser Situation ein befriedigendes Gespräch zu führen. Der Referent verhält sich dazu noch äußerst ungeschickt. Zwischenrufe der Zuhörer beantwortet er mit Zwischenrufen („Wenn Sie schon alles wissen, kann ich ja Schluß machen!"), ernsthafte Fragen verweist er barsch auf die anschließend geplante Diskussion.

Zuruf aus den hinteren Reihen: „Können Sie nicht die Theorie und die Bilder etwas schneller abhandeln, wir würden uns lieber mit Ihnen unterhalten."

Die Reaktion des Professors auf diese Forderung zeigt mangelnde pädagogische Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Er läßt die Dias in rasendem Tempo durch den Projektor sausen, den Zuhörern flimmert es vor den Augen. „Sie wollten die Bilder ja schneller sehen."

Die Unruhe steigt, Pfiffe, Gröhlen und Zurufe: „Spielverderber", „Kindskopp" und . . . „Zeichen alberner Trotzreaktion". Der weitere Verlauf ist ungewiß, läßt jedoch nichts Gutes ahnen.

Verständigungs - Schwierigkeiten traten schon zu Beginn auf, der Verstärker ist übersteuert, die Stimme des Referenten oft bis zu Mickymaus-Tönen verzerrt. Mitarbeiter der Heimleitung bemühen sich in der Nähe der Bühne um einen guten Ton. Allgemeine Unruhe. Jugendliche, die seitlich des Referenten hockten, stehen auf, gehen am Projektor vorbei. Wollen sie den Saal verlassen?

Sie sind schon in der Mitte des Raumes, da schreit der Professor:

„Die Proben sind weg!"

Die Hasch-Mopser gehen schneller, Bschorr und Mitarbeiter hinterher. Die Heimleitung eilt zu Hilfe, einer fällt über einen Stuhl, kleine Rangelei. Ruf: „Sofort die Eingangstür verschließen! Polizei, Polizei!" Alles ereignet sich in Sekunden, dann wird es wieder ruhiger, die Übeltäter sind draußen, wir drinnen. Enttäuschung beim Referenten, Grüppchen-diskussionen bei den Teilnehmern.

Einer hat Mut: „Nun laßt die schon wieder 'rein, dann machen wir weiter." Keine Resonanz.

Der Heimleiter stellt fest, daß nicht nur die Hasch-Sünder ausgesperrt sind, sondern auch eine Menge Neugieriger jetzt gegen die gläserne Eingangstüren hämmert.

„Haben Sie die Polizei alarmiert?" bohrt der Referent weiter. Heimleiter (etwas verlegen): „Da kommen wir nicht durch. Aber ich glaube, es hat keinen Zweck. Kommt die Polizei, gibt's eine Schlägerei."

Jetzt läßt Prof. Bschorr durch den Heimleiter verkündigen, daß er zu einer Fortführung der Diskussion nicht bereit ist. Die Besucher könnten sich jedoch mit seinen Mitarbeitern in kleinen Gruppen unterhalten.

Die Tür wird wieder geöffnet, einige kommen herein, viele verlassen den Raum. Unsicherheit: „Ist nun Schluß, oder machen wir weiter?" Der Referent packt seinen Projektor zusammen und läßt sich in Gespräche mit einzelnen ein. Besonders enttäuscht sind die Besucher, die aus Tempelhof, Spandau und Charlottenburg kamen.

21 Uhr. Rege Unterhaltung in kleinen Gruppen. Der Heimleiter erläutert die unglückliche Situation aus seiner Sicht: „Die Hälfte der Besucher hätte hier nicht 'reingehört. Das sind Leute, die bei der Ausräumung des Saftladens (Lokal in Zehlendorf) mit der Polizei in Konflikt gerieten. Die wollten den Vortrag hier auffliegen lassen. Ist ja schade, war doch gut besucht."

21.30 Uhr. Einige gehen, besonders Zähe verwickeln die Mitarbeiter in Gespräche mit brisantem Inhalt. Heftige Kritik an dem Abbruch der Veranstaltung wird auch von älteren Besuchern laut (mindestens 40 waren im Väter- und Großväteralter). „Warum er nicht weitermacht. So sind eben junge Leute, die haben mit dem geklauten Zeug ihren Spaß gehabt, und nun wäre es friedlicher weitergegangen. Das müßte ein studierter Mann aber auch wissen."

Ende. Zurück bleiben ein Woge von Unbehagen und Frustration.
 

  • Der TIP 62, S. 15 - Beilage zum Blickpunkt Nr. 195 Mai 1970

 

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