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Brot und Spiele
Anmerkungen zu einer Beatveranstaltung
von Johannes Watermann

Am 15. September 1965 sah ich in der Waldbühne Flaschen, Steine, Kleidungsstücke und Damenschuhe auf die Bühne fliegen. Schwitzende Polizisten stürmten vor und ließen ihre Gummiknüppel auf die jungen Randalierer niedersausen. Während ich als Fotograf für den „blickpunkt" Aufnahmen von diesem Krawall machte, schoß dicht an meinem Kopf etwas vorbei und fiel neben der Bühne in den Sand: ein abgerittenes Winkeleisen! Als kurz danach das unheimliche Splittern der Tausende von Holzbänken begann und die Waldbühne in einen Schutthaufen verwandelt wurde, hatte ich Zeit, über die Gefährlichkeit des Wurfgeschosses aus der anonymen Menge und über die „Menge" selbst nachzudenken.

Am 4. Dezember 1966 besuchte ich im Auftrage des „blickpunkt" mit meinem Mitarbeiter R. König eine Beat-Veranstaltung in der Deutschlandhalle. Mit den schlechtesten Karten von den Veranstaltern ausgerüstet, verließen wir die uns zugewiesenen Plätze, weil wir bestenfalls mit stärksten Teleobjektiven Aufnahmen von den Musikern hätten machen können (den Erfolg sieht der Leser an der Kopfleiste). Ahnungslos vor der Bühne wartend, in der Gewißheit, dem „blickpunkt" doch noch gute Fotos bringen zu können, sah ich mich plötzlich einem „Ordner" gegenüber, der sich nach meinem Anliegen erkundigte. Fotoapparate sind sicher ein deutliches Firmenschild. Ich zeigte meinen Presseauswels und setzte hinzu, daß ich Aufnahmen für den „blickpunkt" zu machen wünsche. Dieser Teil sei für Fotografen der Zeitschriften „Bravo" und „o k" reserviert, wurde mir erwidert. Mit diesem mir unverständlichen Ausschließlichkeitsanspruch im Hader, wollte ich etwas entgegnen, als ich mich plötzlich mit brutaler Gewalt zurückgestoßen fühlte. Hierauf wurde ich mit einem Polizeigriff gepackt und unter dem Protestjohlen einiger Zuschauer nach hinten gezerrt, wo mir „mein Platz angewiesen wurde". Solche Risiken gehören wohl zur Arbeit jedes Pressefotografen, und meine Ausrüstung hatte zum Gck keinen Schaden erlitten. Meinem Mitarbeiter R. König widerfuhr zwar nicht solch eine drastische Zurechtweisung, immerhin durfte er sich über die kleinliche Haltung der Ordner ärgern, als ihm nämlich zugebrüllt wurde, er solle gefälligst von der Rennbahn 'runtergehen: König hatte mit einem Hacken wenige Zentimeter auf der schrägen Radrennbahn gestanden.
Gezwungenermaßen an den Rand des Geschehens gestellt, machten wir aus der Not eine Tugend und fotografierten das „Randgeschehen". Wir hatten dabei die Gelegenheit, „Ordner in Aktion" zu sehen und zu fotografieren, und es ist sicher nicht zynisch gemeint, wenn ich die Parallele Waldbühne—Deutschlandhalle zum Anlaß nehme und behaupte, daß solche „Ordner" einer randalierenden Menge durchaus adäquat sind. „Hart
und kurz zuschlagen" bzw. „die Dinge im Keim ersticken" sind Begriffe, die möglicherweise ihre Berechtigung haben. Aber vielleicht ist es nicht zuviel verlangt, von dieser Spezies Mensch etwas differenziertes Denken zu fordern. Und schließlich sollte man einmal grundsätzlich darüber nachdenken, was das da für junge Menschen im Zuschauerraum sind, warum sie eigentlich zu einer Beat-Veranstaltung hingehen? Die naive Annahme, nur Musik hören zu wollen, möchte ich gar nicht erst erhärten. Die Ausstrahlungen, die von der Bühne ins Publikum hin- und zurückgehen, sind viel zu vielschichtig, als daß man sie mit einem einzigen Satz abtun könnte. Nicht zuletzt ist ja jede Beat-Veranstaltung eine „Show"! Und in erster Linie ein Ventil für so viele Dinge. Wer tagsüber in einer Fabrik hinter dem Schraubstock steht, bei kalter Witterung Stein auf Stein schichtet, hinter der Schreibmaschine hockt und sich von einem nörgelnden Chef herumkommandieren lassen muß oder in trockener Kaufhausluft einem unentschlossenen Kunden zum x-ten Male ein anderes Paar Schuhe bringen muß, der möchte sich hier endlich im warmen Dunst des Kollektivs seinen Ärger, seine Enttäuschungen, seinen Liebeskummer aus der Seele schreien. Nur deshalb schlüpft der kleine Buchhalter in die Herkulesgestalt des Catchers und renkt seinem imaginären Chef die Knochen aus! Nur deshalb findet das Teleobjektiv der Wochenschaukamera den Fußballfan, der die Arme in die Luft wirft — hier bin ich! —, dessen Gesicht von Zuckungen überzogen wird, die die Leute im Kino lachen lassen! Nur deshalb Hahnenkämpfe, Stierkämpfe, Boxkämpfe, Nachläufer der Gladiatorenkämpfe im alten Rom — panem et circenses! Unsere triebfeindliche Gesellschaftsordnung verlangt den lammfrommen Bürger und überfordert ihn gleichzeitig, z. B. durch die Massenmedien.

Wer in dieser Beat-Veranstaltung die Tausende von „Bravo"-Exemplaren in den Händen der Teenager liegen sah (die allerdings nachher als Wurfgeschosse, Tauben und Konfetti dienten), sollte sich über Gefühlsexplosionen nicht wundern. Unfähig, mit dem überheizten Emotionswust fertig zu werden, fangen kleine Mädchen eben an zu schreien.

raufen sich die Haare, verfallen in Krämpfe. Daß Beatmusik bzw. das Agieren der Musiker bei Mädchen Bereiche unterhalb der Gürtellinie berührt (Teenager, die in Amerika und England ihre Unterwäsche auf die Bühne warfen, waren sicher nicht nur musikbegeistert), ist vielleicht etwas völlig Normales. Dann aber sollten große Boulevardblätter nicht mit dem einen Finger drohen, nachdem sie noch eben mit dem anderen gelockt haben. Ein Emotionsstau bei männlichen Jugendlichen zeitigt andere Auswirkungen, meist zerstörtes Mobiliar oder eingeschlagene Zähne. Wie überflüssig zu bemerken, daß man dem überheizten Kessel das Sicherheitsventil gab. Für die Abkühlung überheizter Menschen sorgen andere „Sicherheitsorgane", Blümchengießende Sadisten mit bemerkerswerter Eigeninitiative oder dumpfe Schläger mit dem immer offenen Ohr für die Befehle von oben, die sie sind, stellen sie das Heer von Kapos, Bewachern, Soldatenschindern, knüppelnden Polizisten und Rausschmeißern. Mit dem scheinheiligen Terminus „Ordner" gefirnißt, warten sie ständig auf ihren Einsatz, auf ihre Chance.

Die Hollies waren der Höhepunkt

Die „Boots" stiefelten zu Beginn auf die Bühne und durften herhalten für bequeme Tontechniker, die jetzt erst, auf Klangkosten der fünf Berliner — in Ruhe die Anlage der Deutschlandhalle aussteuerten. Natürlich waren die „Boots" kaum zu hören. Und gingen unter in einem Meer von Interesselosigkeit, das ihnen entgegenwogte. Kaum zu fassen, wie diese immens gute Band von ihrem Manager verschaukelt wird. Die ,,Remo 4", eine hochbegabte und allseits beliebte und bereits in Deutschland heimisch gewordene Liverpool-Formation, war schlecht beraten mit ihren Jazzakkorden. Die Beatmäuse im Parkett wollten keinen Jazz. Dann: die Remo-Schau mit dem Hut ist ein alter Hut.

Na, und der Bonney war ein Witz. Dieses hoffnungslos untalentierte Büblein im lila Strampelanzug konnte nicht mal das „Super Girl" richtig verkaufen. Trotz der Tanzpuppe, die er sich aus der Rampe gefischt hatte. Und trotz „Bravo"-Publicity im Rücken. Einige versöhnliche Teenager drückten etliche Male die Handflachen gegeneinander, als der Samtknabe enthüpfte. Dieses Würstchen sollte sich auch nicht gerade Wilson-Pickett-Titel aussuchen, bei dem Stimmchen.

Die „Hollies" dann der wahre Höhepunkt — wie zu erwarten. Über eigene Verstärker sangen sie klar und korrekt, daß man ihre Platten zu hören glaubte. Das Minimädchen hinter mir schrie mir ihre Mandeln in den Kragen, sie hatte recht: die Hollies waren ein Genuß! Routiniert, souverän und bescheiden. Ohne die Arroganz der anmaßenden Scheinstars.

Nach einer Pause kochte ein gewisser Dick Scott mächtig für sich ab. Er parodierte Beatgrößen und kassierte Beifall eimerweise, man trampelte und klatschte Takt. Ein kleiner Bursche mit Sinn für Show, sauber unterstützt von „The Barrons". Die „Troggs" selbst enttäuschten mich nicht, ich hatte nichts Besseres erwartet bei einer so neuen und noch unerfahrenen Gruppe. Zudem fiel ihnen der Gesang aus. Dennoch erkannte das großzügige Publikum mitunter die jeweiligen Hits wieder und assistierte.

  • TIP 30, Beilage zur Nr. 1/1967 / Januar 1967

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