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Archiv Rock und Revolte

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BEATLES MÜSSEN WIR HABEN
HEISSE DISKUSSION IN NEUKÖLLNER TURNHALLE
von
W. F.

So war es in Neukölln plakatiert: ,, Beatles müssen wir haben". Viele junge und ältere Berliner strömten an einem Oktoberabend in die Evangelische Schule Neukölln. Die Turnhalle war zur Aula umgebaut und das Parkett bald bis auf den letzten Platz besetzt. Zur Begrüßung sprach nicht etwa ein Vergnügungsmanager odei ein langhaariger Gitarrist, sondern ein Herr im schwarzen Anzug: der Neuköll-ner Superintendent Dr. Dittmann. Die Kirche müsse noch mehr unter die Menschen gehen, um sie im täglichen Leben zu erreichen. Deshalb stand die provozierende Behauptung „Beatles müssen wir haben" über dem ersten von vier Diskussionsabenden.

Auf einer Filmleinwand tobten Beatle-Fans, kreischten besessene Mädchen, „schafften" sich lockige Jungen, imitierten halbwüchsige Musikanten das berühmte Liverpooler Quartett. Wenn es besonders „schlimm" wurde, wenn sich die Leute auf der Leinwand sozusagen „wegwarfen", mußten die Neuköllner lachen, obwohl sie sonst nicht abgeneigt waren, sich mitreißen zu lassen. Diese Darbietung war der „Aufhänger". Zur Diskussion hatte sich eine Batterie von neun Sprechern auf dem Podium niedergelassen: drei Theologen, ein Psychotherapeut, ein Sexualpädagoge, eine Fürsorgerin, ein Jugendpfleger und zwei Primaner von der Albert-Einstein-Schule. Trotz der stattlichen Zahl von Fachkräften waren die eigentlichen Experten auf dem Podium die beiden Primaner, jedenfalls was die Beatles angeht. Die Oberschüler bekannten sich zu den Beatles und ihren Folgen, ohne Einschränkung sogar. Der Freiheitsdrang ihrer Altersgenossen finde darin eine Erfüllung („Ich möchte es als eine Art Rauschgift bezeichnen"), man könne, anders als im Schüleralltag, im Beatle-Leben sich mal gehenlassen, sagte einer, man sei nicht an die genormten Verhaltensweisen des Spießbürgers gebunden. Daß das Verhalten in Beatle-Kreisen auch genormt ist, sagte keiner.

Überhaupt waren die älteren Gesprächspartner zunächst sehr vorsichtig, um nicht in den Verdacht zu geraten, daß sie gegen die Beatles und ihre Anhänger etwas hätten. „Sie haben einen guten Sound", lobte ein Pfarrer. In behutsamer Frageform wurden dann auch Bedenken vorgetragen. Dr. Hunger aus Münster: „Haben Sie nicht Angst, daß man Ihre Begeisterung für andere Zwecke ausnutzen und einspannen könnte?" Schlagfertig der Primaner: „Auf politischem Sektor, da denken wir erst mal nach." Er erklärte auch das Wachsen der „Bewegung": „Die Erwachsenen bekämpfen uns; wenn man etwas bekämpft, dann wird es immer stärker."

Beharrlich blieb Dr. Hunger am jungen Mann. Er interessierte sich nicht nur für das Äußere von Beatle-Köpfen, sondern auch für das, was drin ist im Kopf: „Vor fünf Minuten hat sich hier eine Gruppe von Jugendlichen absentiert, die in diese
Kategorie gehört; damit haben sie gezeigt, daß das, was hier diskutiert wird, bereits über ihren geistigen Horizont geht." Begeisterte Zustimmung im Saal. Der Pädagoge war gut über die Tendenzen an einer Autogramm-Börse informiert; er konnte mitteilen, daß Albert Einstein (seinen Namen trägt die Schule, aus der die Primaner kamen) mit etwa 3 DM gehandelt wird, während Sophia Loren über 40 DM bringt.

Ein Pfarrer wollte wissen, warum eigentlich die vielen Imitatoren der „echten" Beatles so gut „ankommen". Antwort des Oberschülers: „Sie, Herr Pfarrer, haben auch nicht nur einen Bischof, sondern Sie haben mehrere Pfarrer. Sehn Sie, und so ist das auch mit den Beatles: Der Hunger der Jugendlichen ist eben so groß, daß eine Gruppe nicht ausreicht." Bewegung im Saal. Von „unten" kommen Zwischenrufe, auch Beiträge: „Irgend etwas muß uns doch befeuern", sagt einer, „seien es die Beatles oder in der Kirche die Nächstenliebe." Vom Mangel an Idolen und Idealen war die Rede und vom „Recht auf einen Beatle."

Ein Ende der Diskussion war noch lange nicht zu erwarten, als der Mann mit der weißen Krawatte aus dem Saal aufs Podium schnellte: „Ich spreche die Schlußworte." Stadtmissionsdirektor Heinrich Giesen, der „Regisseur" der Veranstaltung (übrigens auch der im Berliner Stadtbild sichtbaren „zündenden" Kirchenreklame), wollte den ersten Abend der Reihe lie-er zu kurz als zu lang werden lassen.

„Hier fiel ein gefährliches Stichwort", sagte Giesen, „das Wort vom Rauschgift. Haben Sie acht auf die Dosis. Die Dosis macht es, ob wir kaputtgehen." Mit wenigen Sätzen bezog er die diskutierten Fragen auf den Spielraum, den jeder im Leben braucht. Er bekannte sich zum Spiel und dazu, daß jemand auch einmal eine „fremde" Rolle spielt, und sei es die der Beatles. Es käme jedoch darauf an, sich dabei nicht so zu verlieren, „daß das Kostüm zur Haut wird, daß man weiterspielt, aus lauter Angst, sich selbst zu finden".

Viele, besonders unter den älteren Besuchern dieser Veranstaltung werden sich die Parole „Beatles müssen wir haben" nicht zu eigen gemacht haben. Aber alle, so schien es, waren erfreut über den frischen Stil, den sie nicht immer erleben, wenn die Kirche unter die Leute geht.
 

Quelle:

BLICKPUNKT
Illustrierte Zeitschrift, herausgegeben vom Landesjugendring Berlin
(Nr. 133 / 11-1964 / S.37)

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