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Archiv Rock und Revolte
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Sie warten nicht nur auf ihre Zuschauer, sondern gehen auch zu ihnen. So z. B. in das Jugendheim »Haus am Böcklerpark", um dort für Jungarbeiter und Lehrlinge ihr Stück "Ein Gespenst geht um" aufzuführen


Spaß beim Spielen
Die Kreuzberger Theatermacher „Die Zentrifuge" / von Ralf Dorn

Theater? Anzug und Schlips anlegen? Und diese steife Atmosphäre! Lauter bornierte Typen und dickbäuchige Kaffeeschwestern! Klassiker, steril in Klarsichtfolie verpackt, oder modernen „absurden Theater"-Schwachsinn, vom Staat hoch subventioniertes Amüsement für eine kleine Schicht? Jungarbeiter und Lehrlinge bleiben den bürgerlichen Musen-Tempeln zumeist fern. Muß man Theater deshalb abschreiben, wenn man politisch, wenn man progressiv ist? Ein Theater ganz anderer Art, nicht subventioniert, stellen wir auf dieser Seite vor.

Wenn man „Theater" hört, denkt man zunächst an Leute mit eleganten Kleidern, die sich in den Foyers auf höchst seltsame Art und Weise produzieren, um so vom übrigen Publikum bewundert und anerkannt zu werden. Die aufgeführten Stücke unterstreichen den oberflächlichen Charakter dieser ganzen Show. Man hat sich köstlich .amüsiert" und geht leer nach Hause. Die Bezüge zur Realität fehlen zumeist, so daß Diskussionen im Publikum nach den Inszenierungen der bürgerlichen Theater kaum stattfinden. Die klassische Vorstellung vom Theater als „politisch-moralischer Lehranstalt" existiert nur noch in literaturgeschichtlichen Büchern.

Ist deshalb das Theater „gestorben"? Wohl kaum. Aber Theater spielt nicht in einem klassenneutralen Raum, selbst wenn bürgerliche Theaterkritiker ihr Medium so verstanden wissen wollen.

Das Kreuzberger Theaterkollektiv „Die Zentrifuge" hat versucht, seine Aufführungen so zu gestalten, daß das Publikum seinen Spaß am Theater wiederfinden kann. Ein großer Raum mit kleinen Tischen lädt zum Wohlfühlen und Diskutieren ein. Man kann Schmalzstullen essen, Bier und Wein trinken, Zeitungen lesen, Bücher kaufen, Zigarren rauchen. Auch für Musik ist gesorgt. Einige Mitglieder des Kollektivs können ganz gut Gitarre spielen.

Wenn das Licht ausgeht, ist man keinesfalls frustriert, weil man vielleicht gerade ein interessantes Gespräch führte, sondern harrt eher gespannt der Dinge, die jetzt passieren sollen.

Die Darsteller spielen keinesfalls im Dunkeln, denn die Bühne wird beleuchtet, und auch sonst wird Licht in unsere scheinbar so geschichtslose Lebenssphäre gebracht. Das Stück konfrontiert uns mit unserer eigenen Geschichte. 1945 — Hitlerdeutschland hat kapituliert. Die Menschen haben keine Wohnungen, wenig zu essen, die Wirtschaft ist ruiniert.

Im Osten Deutschlands beginnen Kommunisten und Antifaschisten gemeinsam einen Staat aufzubauen, von dem nie mehr ein Krieg ausgehen soll, in dem die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgeschafft wird, die Grundlage der freien Entfaltung aller Menschen geschaffen wird - die heutige DDR.

Das Stück zeigt die Schwierigkeiten bei der Errichtung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung. Eine Mutter mit vier Söhnen, die sich bisher aus allem — besonders aus der Politik — herausgehalten haben, finden den Weg in die Partei der Arbeiterklasse und in die anderen demokratischen Organisationen (FDJ, FDGB usw.) und werden so zu aktiven Erbauern des neuen Staates.

Die Machenschaften der „ewig gestrigen" Unternehmer, die versuchen, die Ausbeuterordnung des monopolkapitalistischen Staates wiederherzustellen, werden entlarvt. Sie fliehen in den Hort der Reaktion und des Anachronismus — nach Westdeutschland — , um dort ihre menschenfeindliche Politik weiter zu betreiben unter dem Schutz und mit Unterstützung der US-imperialistischen Besatzungsmacht.

Gut gelungen ist die Inszenierung einer Gewerkschaftsversammlung, wo Publikum und Theaterkollektiv gemeinsam die Überführung eines Betriebes in Volkseigentum diskutieren, sich der Kraft ihres gemeinsamen Handelns bewußt werden, begreifen, daß es besser geht, wenn die Arbeiterklasse die Geschicke des Volkes in eigene Hände nimmt.

Doch was hat dieses Stück mit der Realität der arbeitenden und lernenden Jugend Westberlins zu tun? Das Stück regt zum Nachdenken an. Es knüpft an Widersprüche an, mit denen wir uns Tag für Tag auseinanderzusetzen haben. „Die Zentrifuge" hat es verstanden, den Prozeß des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaftsordnung so darzustellen, daß sich Anknüpfungspunkte für Kritik am monopolkapitalistischen System leicht finden lassen. Das Theaterkollektiv weiß ein Mittel gegen die ständigen Angriffe des Monopolkapitals auf die elementaren Lebensrechte der arbeitenden Bevölkerung. „Aktionseinheit ist das Gebot der Stunde!"

Wer mehr über Aktionseinheit wissen und gern ins Ohr gehende Politsongs hören will, geht einfach hin. Es macht Spaß, in der „Zentrifuge" dabeizusein.
 

  • Aus: Signal Nr.3/1972 S.20

Signal. erschien in Westberlin und wurde von der Freien Deutschen Jugend Westberlin herausgegeben

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