Für Erwachsene verboten
Irrtümer über die „Jugend von heute" –
Tanzabend berichtigt Besserwisser
Die Neue Welt in
der Hasenheide ist für den Berliner Landesjugendring nicht mehr nur ein
Tanzlokal. Der Riesensaal wurde am 5. September 1959 im wahrsten Sinne des
Wortes zu einer neuen Welt. Bewegte sich der Landesjugendring bisher mehr
oder weniger in den ausgetretenen, sicheren Pfaden organisierter
Jugendarbeit, so betrat er in der Hasenheide das klippenreiche Neuland der
Zusammenarbeit mit unorganisierten jungen Leuten.
Alle Teenager und Twens, Halbstarke und Ischen Girls und Boys – oder wie sie
sich sonst noch nennen mochten – waren unter dem zukräftigen Motto „Für
Erwachsene verboten" aufgefordert worden, zu einem
Tanzabend, einem Schwoof, Zenlralschaffe oder einer Party in die Hasenheide
zu kommen. Prominente Künstlernamen wie Trio Sorrento, Günter Keil, Horst
Nowack, Mäcki-Trio, Hans Karbe nebst Schauorchester, die Delta-Skiffle-Group
oder Klaus-Günter Neumann standen auf dem Programmzettel. |
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Wenn man diesen Abend rückblickend betrachtet,
muß man feststellen, dass eine Kette von Irrtümern bei allen Beteiligten
aufgeklärt wurde. Deshalb war die Veranstaltung ein Erfolg.
Es begann schon an der Abendkasse, Vorstand und Geschäftsführung des
Landesjugendrings umkreisten bangdas kleine Häuschen! Erst ein Drittel der
Karten war im Vorverkauf umgesetzt – und das hatte sich
eine halbe Stunde vor Beginn immer noch nicht wesentlich geändert.
Dann setzet aber plötzlich ein Anstrum ein, der kühnste Optimisten überraschte!
Binnen kurzer Zeit war die Abendkasse ausverkauft. Jeder Platz im Saal wäre
spielend besetzt worden, wenn nicht noch manche Karte unausgenutzt wäre. So
tummelten sich 1700 junge Leute im Festsaal, die sich noch nicht erwachsen
fühlten.
Aber auch schon viele jugendliche Besucher erlebten schon an der Kasse ihre
erste Überraschung. Sie staunten, wenn sie ihr Wechselgeld zurückbekamen: „Wat
denn, bei so 'n Programm kostet det nich mehr?" Aufklärend erfuhren sie, daß der
Veranstalter einen Zuschuß trage. Respektvoll ging da zum ersten Mal der Name
„Landesjugendring" von Mund zu Mund.
Einige Teenager mußten einen Irrtum nach den ersten Tänzen berichtigen. Sie
hatten schicke dicke Angorapullover für die passendste Ballgarderobe gehalten.
Während man wenige männliche Pulloverträger am Saaleingang zurückgeschickt
hatte, glaubte man, der modischen Sonderstellung der Damen diese sibirische Note
gestatten zu dürfen.
Nun die Angorakätzchen waren sich schnell darüber klar: „Nie wieder im Pullover
zum Tanzen, die schicksten Boogie-Tänzer muss man abweisen, weil man ganz
ordinär - schwitzt."
Es gab auch Jugendleiter, in deren Vorstellung der Abend fürchterlich ausgesehen
haben muss. Sie hatten offensichtlich eine Horde Lederjacken erwartet, die mit
knatternden Mopeds in den Saal eindringen würden. Sie warteten vergeblich und
meinten geraume Zeit, daß die falschen Kreise Jugendlicher der Einladung gefolgt
wären. Später sahen sie ein, dass auch die meisten Lederjackenknaben wissen, wie
man zu einem Tanzabend kommt und man sich dort benimmt.
Die Künsterl, die überall von dem mangelnden Interesse der heutigen Jugend
gehört hatten, staunten über den Beifall, der ihnen entgegen schlug.
Natürlich kam nicht alles mit gleicher Wucht an. Mit wachem Blick wurden nur
Leistungen anerkannt und beklatscht. Günter Keil erzählte, daß er früher in der
Hasenheide gespielt habe und daß seine Mutter abends immer erst eine ganze Reihe
Kinder waschen musste, bevor sie ihn gefunden habe. Er fand damit den Draht zu
seinen jungen Zuhören am schnellsten und konnte ihnen auch ungehindert einige
Spitzen einpassen. Diesmal war es ehrlich als er am Schluß sagte: „Sie waren ein
reizendes Publikum.“
Wer das Auftreten der Skiffle Group mit dem Ausbruch eines Tumults gleichgesetzt
hatte, wurde enttäuscht. Die wenigsten tanzten zu dieser heißen Musik. Man
versammelte sich lieber vor dem Podium und sah zu wie ein Waschbrett gestrichen
wird. Als dagegen Hans Karbe zaghaft versuchte, einen Walzer zu spielen, war die
Tanzfläche plötzlich brechend voll. Der Meister des Schauorchesters schloß
gleich eine ganze Serie an und wagte schließlich eine treudeutsche Polonaise
vorzuschlagen. Die Anregung erntete einen Begeisterungsturm, kein Paar blieb
sitzen.
Gegen Ende der Veranstaltung leerte sich der Saal schnell. Raufereien, wie sie
in Veranstaltungen, die für Erwachsene erlaubt sind, an der Tagesordnung sein
mögen, blieben aus. Die Jugendleiter, die sich für den Fall des Falles als
Ordner zur Verfügung gestellt hatten, konnten also ohne Einsatz nach Hause
gehen. Nach der letzten Note ging aber alles freiwillig.
Nur ein Tisch räumte erst nach einem diskreten Hinweis des Obers. Das
waren die Vertreter des Landesjugendrings!
Das Fazit dieses Abends: Die unorganisierte Jugend ist ganz anders als ihr Ruf.
1700 junge Leute fühlten sich noch nicht als Erwachsene, sie benahmen sich aber
besser.
Quelle: AS. in "Blickpunkt",
Nov. 1959, S. 27
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