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Archiv Rock und Revolte
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Auszüge aus:
Bericht über die Lage der Jugend

Deutscher Bundestag, 4. Wahlperiode, Drucksache IV/3315
Bonn, den 14. Juni 1965

Seite 19-21: Der Einfluß von Schrifttum, Film, Funk und Fernsehen

Das Verhältnis der Jugend zu Film, Funk, Fernsehen und Schrifttum hat zwei Seiten: Es wird einerseits durch das Verhalten der Jugend diesen Medien gegenüber bestimmt; andererseits wirken diese auf die Jugend ein. Wichtig sind die verschiedenen Formen geistig-seelischer Auseinandersetzung mit dem Angebot.

Auf Grund verschiedener Erhebungen ist festgestellt worden, daß mehr als 80 °/o aller Jugendlichen Rundfunk hören; mehr als 70°/o lesen Zeitung, Zeitschriften und Bücher; 65 °/o gehen häufig, d. h. mindestens zweimal im Monat, ins Kino; ca. 60% sehen teils regelmäßig, teils unregelmäßig Fernsehsendungen an. Praktisch gibt es keinen Jugendlichen mehr, der nicht von einem oder von mehreren Massenpublikationsmitteln erreicht würde; alle benutzen diese mehr oder minder regelmäßig. Das Verhältnis der einzelnen Altersstufen und sozialen Schichten zu dem jeweiligen Medium ist aber sehr verschieden.

Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren gehen im Durchschnitt am häufigsten — 2 bis 4mal pro Monat — ins Kino. Bei den Kindern ist der Kinobesuch dagegen seit 1955 merklich zurückgegangen. Das hängt eng mit der zunehmenden Verbreitung des Fernsehens zusammen. Vornehmlich im Alter zwischen 8 und 13 Jahren interessieren sich die Kinder stark für das Fernsehen. Im Unterschied zu den Erwachsenen ist das Kino bei den Jugendlichen unverändert beliebt. Die für das Jugendalter typische Neigung, sich vom Elternhaus zu lösen und eigene Wege zu gehen, ist wohl eine der wichtigsten Ursachen. Das Interesse der Jugendlichen am Film wird allerdings stark von der sozialen Stellung und vor allem von dem jeweiligen Bildungsgrad beeinflußt. So liegt der Filmkonsum der Oberschüler z. B. etwas unter dem Durchschnitt; auch zwischen den einzelnen Berufsgruppen der werktätigen Jugendlichen gibt es deutliche Unterschiede.

Das Interesse am Lesen ist unter der Jugend mehr verbreitet, als man gemeinhin annimmt. Bei den Studenten, Schülern und Angestellten ist es größer als bei den jungen Arbeitern und Handwerkern. Im Durchschnitt lesen die Mädchen häufiger als die Jungen. Vereinzelt gibt es Jugendliche, die nur sehr wenig lesen und die auch kein Interesse an Film und Fernsehen zeigen.

In Einzelfällen sind junge Menschen aber auch geradezu süchtig nach Lektüre, Filmen und Fernsehdarbietungen. Diese Sucht wird u. a. durch das riesige Angebot an optisch-akustischen Programmen und Druckerzeugnissen gefördert; sie hängt aber letztlich wohl von der psychologisch-soziologischen Situation des Jugendlichen ab. Die Werbung tut das Ihre, um das Angebot auch auf dem Gebiet der Massenmedien möglichst attraktiv zu gestalten, zum Konsum zu überreden und die Bedürfnisse auszuweiten.

Zwischen Angebot und Auswahl läßt sich eine enge Wechselbeziehung feststellen. Programmanalysen haben ergeben, daß beim Filmangebot spannungsgeladene, „harte" Stoffe, wie etwa Abenteuer-, Kriegs-, Kriminal- und Gruselfilme, weit an der Spitze stehen, gefolgt von Filmen, die leichte Unterhaltung bieten. Eine Wandlung ist auch in der Geschmacksrichtung weiblicher Jugendlicher beobachtet worden. Der sentimentale Heimatfilm hat— jedenfalls in der Großstadt — dem lustspielhaften, erotisch durchwirkten Schlagerfilm Platz gemacht.

Filme mit einem tristen, hoffnungslosen Tenor werden von allen Jugendlichen abgelehnt. Sonst aber zeigen sich erhebliche soziologisch bedingte Unterschiede. Während Kriegs-, Kriminal- und Abenteuerfilme ziemlich unangefochten von männlichen Berufsschülern bevorzugt werden, haben Oberschüler zugleich auch ein Interesse an Problemfilmen anspruchsvoller Qualität. Die Kritik der Mehrzahl der Oberschüler richtet sich besonders gegen sentimentale Heimatfilme. Die kritische Auseinandersetzung des Jugendlichen mit dem Inhalt und der formalen Gestaltung des Films hängt also stark von seiner Bildung ab; sie ist im Durchschnitt außerordentlich gering: Nur etwa V-i der Jugendlichen stellt an das Gebotene „höhere Ansprüche".

Die Beliebtheit bestimmter Programmarten ist bei Funk und Fernsehen ähnlich wie beim Film. Im allgemeinen werden unterhaltende Sendungen — Shows, Schlager, Tanzmusik, Jazz, Hörspiele — bevorzugt. Im Fernsehprogramm konzentriert sich das Interesse außerdem auf Fernsehspiele, vor allem auf Kriminalsendungen, auf volkstümliche Lustspiele, Spielfilme und Sportübertragungen. Leichte Unterhaltung im Hörfunk und im Fernsehen findet vorwiegend bei Jugendlichen mit Volksschulbildung, insbesondere bei den Mädchen, Anklang, während die Schüler weiterführender allgemeinbildender Schulen auch für anspruchsvollere Sendungen Interesse haben. Eine bewußte kritische Auseinandersetzung ist auch hier selten; sie ist noch am ehesten bei Oberschülern zu finden. Im allgemeinen suchen die Jugendlichen gefällige Information, Unterhaltung, Erlebnis und Spannung.

Die Nachrichtensendungen im Fernsehen werden von der Mehrzahl der Jugendlichen gern entgegengenommen; man will über Tagesereignisse unterrichtet sein. Das Fernsehen hat den Vorzug, daß es den Nachrichtenstoff anschaulich bietet. Mit den Gesprächen und ausgedehnten Diskussionen über Politik in den Fernsehsendungen kann die Mehrzahl der Jugendlichen hingegen nur wenig anfangen, teils, weil die zum Verständnis notwendigen Vorkenntnisse und der Überblick über ganze Problemkreise fehlen, aber oft auch, weil die Sprache zu viel mit Fremdwörtern durchsetzt ist.

Im Unterschied zu den Kindern, die an den für sie bestimmten Sendungen meist Gefallen finden, wollen die Jugendlichen im allgemeinen .eine frei eigene Auswahl aus dem gesamten Programm treffen. Bisher fanden jedenfalls spezielle Jugendsendungen in der Regel keinen allzu großen Anklang Wie englische und jetzt auch deutsche Untersuchungen zeigen, wirkt sich die Möglichkeit, zwischen mehreren Fernsehprogrammen wählen zu könne: so aus, daß ein Großteil der Zuschauer auf die ai spruchsloseren Sendungen ausweicht.

Bei der Lektüre der Jugendlichen läßt sich di gleiche Tendenz wie bei Film, Funk und Fernsehe erkennen: 57 % der weiblichen und 30 % der männlichen Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren lesen Unterhaltungsliteratur; das Interesse an de Lektüre mit Schundeinschlag, die in großer Zäh angeboten und auch gelesen wird, sinkt mit steigendem Bildungsgrad stark ab. Die männlichen Jugendlichen suchen auch in der Lektüre zunächst leicht erlebbare Spannung — daher der starke Konsum von Abenteuer- und Kriminalgeschichten — die weiblichen Jugendlichen erwarten etwas für ihr Gemüt; sie bevorzugen Liebes- und Gesellschaftsromane. Die Lesestoffe wechseln naturgemäß in der verschiedenen Altersstufen: Zwischen 9 und 12 Jahren werden besonders Comics, Abenteuer- und Reisegeschichten gelesen, mit 13 bis 17 Jahren hauptsächlich Abenteuer-, Kriegs- und Wildwestromane bzw. Liebes- und Heimatromane und mit 18 bis 22 Jahren schließlich Kriminal- und Gesellschaftsromane. Das Hauptlese-Alter dürfte zwischen 12 und 14 Jahren liegen. Abgesehen von den billigen Taschenausgaben und Leseheften erwerben die Jugendlichen — verglichen mit dem Konsum an Lesestoff — relativ wenige Bücher.

Besonders wichtig ist die Zeitung: 2/s aller Jugendlichen lesen regelmäßig oder häufig Zeitung. Die Bild- und Abendzeitungen finden etwas mehr Anklang als die Tageszeitungen; denn jene meist etwas reißerisch aufgemachten Blätter lassen sich auf dem Weg zur Arbeit und von der Arbeitsstätte nach Hause leicht „durchblättern". Auch der Konsum von Zeitschriften und Illustrierten ist bei jugendlichen Lesern relativ groß. 70 %> geben an, Illustrierte zu lesen; diese kommen ebenso wie die Leseheftchen, die von 47 % der Volksschüler gerne gelesen werden, vor allem im Tausch- oder Lesezirkelverkehr an den jugendlichen Verbraucher heran.

Auch bei dieser Lektüre zeigen die Jugendlichen nur wenig kritische Distanz und suchen selten eine sachlich fundierte Auseinandersetzung. Dieses etwas oberflächliche Verhalten, das sich mit dem Alter wandelt und dabei stark auch an Moderichtungen orientiert, ist wohl auch der Grund dafür, daß die Jugend der Werbung gegenüber unsicher ist. Der Jugendliche vermag die Werbung nicht in ihren wirtschaftlichen Zielen und Zwecken zu durchschauen. Er erfaßt nur, daß ein bestimmter Artikel angepriesen wird. Er ist daher einer geschickten Werbung gegenüber, die seiner Mentalität Rechnung trägt, sehr aufgeschlossen. Die Werbung kommt um so leichter zum Erfolg, weil der Jugendliche im allgemeinen das Geld leichter ausgibt als der Erwachsene.

In der Freizeit der Jugendlichen nehmen die Publikationsmittel quantitativ und qualitativ einen bedeutenden Platz ein. Alle Untersuchungen über das Freizeitverhalten kommen jedoch einheitlich zu dem Ergebnis, daß die Jugend den Publikationsmitteln keineswegs ganz und gar verfallen ist. Auch die häufig geäußerte Vermutung, die Publikationsmittel förderten eine passive Zuschauerhaltung auf Kosten aktiver Betätigungen, trifft nicht überall zu. Im allgemeinen geben die Jugendlichen ihre Hobbies, den Sport oder das Zusammensein mit Gleichaltrigen nicht etwa zugunsten des Fernsehens auf, wenngleich sie bei besonders interessanten Sendungen — z. B. bei Übertragungen vom Fußball-Europapokal oder bei der Darbietung einer Kriminalfilm-Serie — zu der betreffenden Zeit jede andere Beschäftigung zurückstellen.

Vom Film und zum Teil auch von bestimmten Funk- und Fernsehprogrammen geht eine starke Faszination aus; die Darbietungen werden intensiv miterlebt. Nicht nur die Kinder, sondern auch noch die Jugendlichen empfinden die Sendungen weitgehend als Wirklichkeit. Sie sehen in den Medien mehr als eine Quelle, die ihren persönlichen Erlebnisbereich speist und ausweitet. Sie suchen und glauben in den Programmen eine Vorlage zu finden, an der sich ihre Phantasie und ihre Vorstellung von dem Leben orientieren kann, das sie erwartet. Sie meinen, auf diese Weise erschließe sich ihnen das gegenwärtige und zukünftige Dasein in unmittelbarem Mitfühlen und Miterleben dargestellter Schicksale und Geschehnisse.

Das erklärt die besondere Tiefenwirksamkeit von Film und Fernsehen. Sie erstreckt sich sowohl auf den emotionalen als auch auf den Affekt- und Triebbereich. Nach dem heutigen Stand der Untersuchungen ist es wahrscheinlicher, daß dabei Reiz und Reaktion in einem Zuge verlaufen, als daß sich der Jugendliche abreagiert. Jedenfalls spricht das, was sich junge Menschen in Selbstbeschreibungen oft nachträglich bewußt zu machen versuchen, sehr deutlich dafür, daß das Affekt- und Triebleben durch entsprechende Filmerlebnisse gesteigert und nicht gemindert wird. Von einer Auflösung der Spannungen oder einer Neutralisierung der Antriebe kann nicht die Rede sein. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die Lektüre.

In der Reifezeit sucht der junge Mensch nach Leitbildern; er will diese in die eigene Lebensführung einbauen. Dafür nimmt er den Film in Anspruch. Die Popularität der Film- und Schallplattenstars beweist, daß die angebotenen Bilder von einem Teil der Jugendlichen ohne weiteres als Leitbilder anerkannt werden. Das geschieht vor allem, wenn es sich bei den Stars um junge Leute handelt, die in Charakter, Aussehen und Lebensweise jene Züge verkörpern oder zu verkörpern vorgeben, die den jugendlichen Zuschauern erstrebenswert erscheinen, weil sie Glück, Achtung und Geltung im öffentlichen Leben garantieren. Das Äußere und der Lebensstil der jugendlichen Stars werden dann mehr oder weniger nachgeahmt; ihre „produzierte Jugendlichkeit" wird als wichtiger Bestandteil in den „Lebensstil der Jugend von heute" übernommen.

In der Öffentlichkeit wird oft die Frage gestellt, ob der Boden für ein kriminelles Verhalten Jugendlicher etwa dadurch vorbereitet wird, daß die Vorstellungen über den „Lebensstandard" durch die Publikationsmittel unangemessen hochgeschraubt werden, daß bestimmte Bedürfnisse geweckt und daß strafbare Handlungen gezeigt werden. Alle bisherigen psychologischen Kenntnisse über das Seelenleben des Jugendlichen legen es nahe, die Möglichkeit solcher Zusammenhänge zu bejahen. Andererseits muß aber hervorgehoben werden, daß auch ausgesprochen gute Vorbilder aus Filmen im Kino und im Fernsehen ein starkes Echo finden. Die schwärmerische Verehrung der Stars ist im allgemeinen nur bei einer Minderheit der Jugendlichen und nur in einem bestimmten Alter zu finden. Sie verliert mit zunehmender Reife und steigendem Bildungsgrad an Bedeutung.

Weitaus verbreiteter und wirksamer, wenn auch im einzelnen nicht so eindeutig feststellbar, ist die bildende bzw. vorbildende Kraft, die von der Gesamtheit der Massenmedien ausgeht. Neben den traditionellen Bildungsmächten bieten sie wohl den meisten Stoff zur Bildung von Meinungen, Wertungen und Vorstellungen. Es ist also eine Tatsache, daß die Jugend durch ihren Umgang mit den Publikationsmitteln nachhaltig geformt wird. Sie steht den Massenmedien aufgeschlossen gegenüber und ist in höherem Maße als der Erwachsene beeinflußbar. Lektüre, Funk, Film und Fernsehen bieten ihr viele gute Möglichkeiten, sich zu unterrichten und zu bilden. Daneben steht die Gefahr, daß die Interessen nivelliert werden, daß der Geschmack verflacht und daß das sittliche Empfinden abstumpft. Das Angebot der Publikationsmittel bietet beide Möglichkeiten. Aufgabe der Erziehung und der Bildung ist es, die Jugend so vorzubereiten, daß sie das Bessere auswählt.

Seite 21 - 23: Das Konsumverhalten

Für den Konsum der Jugendlichen und für ihre Konsumwünsche ist zunächst entscheidend, wieviel Einkommen und Taschengeld die 15- bis 25jährigen in der Bundesrepublik haben. Aus Befragungsergebnissen der Jahre 1959 bis 1961 ist errechnet worden, daß die Summe des „frei verfügbaren Einkommens" — d. h. des Geldes, das den Jugendlichen zur Verfügung steht, nachdem alle häuslichen Abgaben und alle sonstigen lebensnotwendigen Ausgaben bestritten sind — für die 4,5 Millionen Teenager in der Bundesrepublik rund 335 Millionen DM monatlich, also 4 Milliarden DM jährlich, und für die 5 Millionen Twens monatlich gut l Milliarde oder 13 Milliarden im Jahr betrug.

Das frei verfügbare Einkommen ist nach Alter, Geschlecht und Schulbildung der Jugendlichen sehr verschieden: Der 14jährige hat im Durchschnitt 17,60 DM pro Monat zur Verfügung, der 19jährige bereits DM 141,45 und der 20- bis 25jährige 235,— DM. Die Mädchen und jungen Frauen stehen dagegen zurück. Besonders niedrig ist das durchschnittliche frei verfügbare Einkommen bei den 21- bis 24jährigen, allerdings nur deswegen, weil sie zu annähernd einem Drittel bereits verheiratet sind. Hier wirkt sich wohl aus, daß die Verheirateten als „Nur-Hausfrau" lediglich ein „Nadelgeld" bekommen und daß sie, wenn sie erwerbstätig sind, ihren Lohn größtenteils für den Haushalt verwenden. Nur bei den 16-bis 19jährigen Mädchen kehrt sich das Verhältnis zu den Jungen um: Viele verdienen sofort nach der Schulentlassung, weil sie keine Berufsausbildung mitmachen und auch nicht auf weiterführende Schulen gehen.

Vergleicht man die Gruppen der männlichen Jugendlichen untereinander, so zeigt sich folgendes: Das höchste durchschnittliche Einkommen haben die Volksschüler, die anschließend eine Lehrzeit und die Berufsschule absolviert haben. Ihnen folgen die Mittelschüler, dann die Volksschüler ohne Lehre. Am wenigsten frei verfügbares Geld haben die Abiturienten und Studenten.

Im übrigen ergibt sich nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964" folgendes Bild:

Berufsgruppen  /  Frei verfügbares Einkommen pro Woche in DM

Arbeiter .......................... 37,26

Angestellte, Beamte ................ 37,17

Selbständige und Landwirte ........ 30,15

Hausfrauen und sonstige Berufe .... 22,38

Schüler und Studenten .............. 10,52

Demnach gibt es auch im Konsumverhalten nicht schlechthin „die Jugend", sondern verschiedene Gruppen junger Menschen.

Genauso unterschiedlich wie ihr frei verfügbares Einkommen ist auch ihr Besitzstand an modernen Gebrauchsgütern. Bei den Teenagern besitzen

Jungen / Mädchen

Fahrrad ...................... 80 % / 65 °/o

Moped ....................... 20 % / 1 %

Motorrad oder Roller .......... 5 % / 0 %

Auto ......................... 1 % / 0 %

Photoapparat ................. 47 % / 35 %

Skier ......................... 31 % / 20 %

Radio ........................ 21% /  16%

Musikinstrumente besitzen 25 % der Jugendlichen; 20% haben einen Plattenspieler und 40% besitzen eigene Schallplatten. Dabei unterscheiden sich die Jungen von den Mädchen nicht. Dagegen besitzen 20% der Mädchen und 17% der Jungen Bücher.

Die über 20jährigen haben weniger Mopeds und Fahrräder; diese sind vom Auto abgelöst worden: 22 % der jungen Männer und 6 % der jungen Frauen besitzen ein eigenes Auto. Sie haben auch weniger Sportgeräte und Musikinstrumente als die Jüngeren. Statt dessen besitzen sie weit mehr Photoapparate, Ferngläser, Radios und Plattenspieler; ihr Bestand an Schallplatten umfaßt mehr Operetten und klassische Musik und weniger Jazz- und Tanzmusikaufnahmen.

Mit Ausnahme der Oberschüler und Studenten besitzen die über 20jährigen häufig keine eigenen Bücher; darunter sind 37% der Volksschulabgänger ohne Lehrzeit, 16% der Volksschulabgänger mit Lehrzeit, 5 % der Mittelschüler und l % der Oberschüler und Studenten. Bei den vorhandenen Büchern stehen Unterhaltungs-, Heimat- und Kriminalromane an der Spitze. Die jungen Männer besitzen zudem noch Fach- und Lehrbücher, Bücher aus Technik und Naturwissenschaft; es folgen Geschichte, Sprachen, Literatur, Kunst und Klassiker.

Im großen und ganzen ist, was die jungen Menschen zwischen 14 und 25 Jahren besitzen, nicht so umfangreich und üppig, wie oft angenommen wird. Es hält sich, im Durchschnitt gesehen, im Rahmen dessen, was in einer gut verdienenden, hochindustrialisierten Gesellschaft angemessen ist. In einzelnen Fällen ist der Besitzstand sogar ausgesprochen bescheiden oder nur gerade ausreichend; nur wenige Jugendliche verfügen praktisch über alle materiellen Güter.

Von den Teenagern wünschen sich die Jungen zu 16% an erster Stelle ein Moped, zu 12% ein Tonbandgerät und zu 10% ein Auto; bei den Mädchen möchten 13% zuerst einen Plattenspieler kaufen und ein etwas kleinerer Teil einen Photoapparat. Die über 20jährigen wünschen vor allem ein Auto zu besitzen; aber auch Photoapparate, Tonbandgeräte und Plattenspieler sind gefragt. Rund ein Drittel der Jugendlichen möchte in der Freizeit am liebsten einmal reisen, Auto und Motorrad fahren.

Die EMNID-Umfrage „Jugend 1964" bestätigt, daß das Sparen bei den Jugendlichen eine bedeutsame Rolle spielt und daß die Bereitschaft zum Sparen in den vergangenen 10 Jahren gewachsen ist. Auf die Frage an Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren, was sie tun würden, wenn sie 100,— DM zur freien Verfügung geschenkt bekämen, haben geantwortet:

1954 / 1964

Sparen ..................... 18 % / 36 %

Einrichtung, Aussteuer ...... 14 % / 18 %

Reisen ..................... 12 % / 1.5 %

Kleidung ................... 18 % / 12 %

Kraftfahrzeug ............... 14 % / 12 %

Geschenke, Spenden .......... 7 % / 2 %

Wofür die Jugendlichen tatsächlich ihr frei verfügbares Einkommen ausgeben, ist der Rangordnung nach bekannt. Bei den Teenagern beiderlei Geschlechts ist die Rangfolge der Ausgaben die gleiche: Erfrischungen, Zeitungen, Lektüre, Fahrgelder für Ausflüge und Reisen und Schallplatten stehen obenan. Bei den Jungen kommen dann im einzelnen Kinokarten und Karten für Sportveranstaltungen, Ausgaben in Lokalen, für Liebhabereien

und Tabakwaren hinzu, während bei den Mädchen Süßigkeiten, Kosmetik und Kleidung locken. Diese Rangfolgen wechseln, je nachdem, ob die Jugendlichen noch in der Ausbildung stehen oder bereits berufstätig sind. Die 20- bis 25jährigen geben im allgemeinen ihr Geld für die gleichen Dinge aus wie die 14- bis 19jährigen.

Der Tabakverbrauch der 14- bis 19jährigen ist hoch: 53°/o der Jungen und 13% der Mädchen rauchen bereits; die 20- bis 25jährigen rauchen etwas mehr, nämlich 60 % der Männer und 20 % der Frauen — täglich etwa 11 bzw. 6 Zigaretten im Durchschnitt. Alkoholfreie Getränke sind bei den Teenagern beliebt. Immerhin aber trinken doch 31 % der Jungen häufig Bier und 34 % gelegentlich Weinbrand. Die Twens nennen zwar als häufigstes Getränk den Bohnenkaffee; aber der Alkoholkonsum liegt im Vergleich zu den Teenagern doppelt so hoch.

Angaben von Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren aus neuester Zeit zeigen folgende Rangfolge der Ausgaben:

Tabakwaren, Alkohol, Süßigkeiten, Gaststättenbesuch .................... 37 %

Modische Kleidung, Kosmetik, Friseur, Geschenke .................. 33 °/o

Besuch von Kino und Tanzveranstaltungen ..................... 33 %

Theater- und Konzertbesuch, Bücher, Zeitschriften .................. 20 %

Sparen ................................ 19 %

Aufwendungen für Auto, Sport, Schallplatten und sonstige Liebhabereien ... 15 %

Im allgemeinen gilt: Im äußeren Bild fallen lediglisch die jüngeren Jahrgänge als „supermodisch" und „unkonventionell" auf. Die älteren beschränken die Freude an bunten Farben und modischem Beiwerk auf die Freizeit und den Urlaub, pflegen ansonsten aber eine unauffälligeren sportlichen oder damenhaften Stil. Auch bei der Musik werden wilde Rhythmen und Jazz nur von den Jungen und Mädchen unter 20 Jahren bevorzugt. In ihrem Konsumverhalten zeigt die Jugend mithin ein ziemlich genaues Spiegelbild der Erwachsenen.

Seite 23 - 25: Freizeit- und Bildungsinteressen

„Freizeit" im modernen Sinne ist erst in der Industriegesellschaft entstanden; erst seither gibt es Freizeitprobleme. Es handelt sich also um ein sozial-und kulturgeschichtlich junges Phänomen.

Anhand von Untersuchungen und Analysen ist die „Freizeit" der Jugendlichen errechnet worden. Feierabend, Wochenendzeit und Urlaubszeit — der Schlaf ist nicht miteinbezogen — machen eine durchschnittliche Freizeit von 35 bis 40 % des „Wachseins" aus. Dieser Anteil wird vermutlich in Zukunft noch zunehmen.

Die Interessen und Beschäftigungen der Jugend in der „Freizeit" sind sehr verschieden. Einen großen Teil ihrer arbeitsfreien Zeit verwenden die Jugendlichen auf Beschäftigungen im Hause bei der Familie, nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964" an den Wochentagen mehr als übers Wochenende:

Jugendliche verbringen ihre Freizeit
im Hause / außer Hause

an Werktagen .............. 68 % /  26 %

an Samstagen ............... 60 %  / 40 %

an Sonntagen ................ 49 % / 51 %

Von allen Befragten sind 55 °/o regelmäßig mit der Familie zusammen und 34 */o verrichten regelmäßig eine Arbeit in Haus und Garten oder im elterlichen Geschäft. Dagegen kommen nur 30 °/o regelmäßig zum Lesen. Natürlicherweise unterscheiden sich hier die Mädchen von den Jungen; 43 % der Mädchen helfen im Hause mit, dagegen nur 14 °/o der Jungen. Zum Teil ist damit der Feierabend an den Wochentagen ausgefüllt, zum anderen aber auch mit Lesen und mit Fernsehen. Auch an den Samstagen spielt die Arbeit in Haus und Garten eine große Rolle; sonst rückt auch im Haus das Fernsehen in den Mittelpunkt. Außer Haus besuchen die Jugendlichen vor allem ihre Freunde oder vergnügen sich in Gaststätten oder bei Tanzveranstaltungen.

An den Sonntagen ändert sich das Bild: die Hausarbeit tritt zurück; das Fernsehen in der Familie behauptet seine Stellung.

Wenn die Jugendlichen ausgehen, besuchen sie nicht nur Freunde und Vergnügungsstätten; sie gehen auch häufig spazieren, und zwar doppelt so oft mit der Familie als mit dem Freund oder der Freundin.

Der wochentägliche Feierabend und der Sonntag werden also zu einem guten Teil in oder mit der Familie verbracht. Der Samstag ist am ehesten für die typisch „jugendlichen" Vergnügungen in Gaststätten, beim Tanz, bei Freunden oder in Vereinen und Jugendgruppen „frei"; und das Fernsehen spielt an beiden Tagen des Wochenendes eine besondere Rolle. Im übrigen ist das Interesse an kulturellen Veranstaltungen und Betätigungen gering; auch die Hobbies sind viel weniger verbreitet, als man gemeinhin annimmt. So haben beispielsweise 67 % angegeben, sie würden niemals musizieren; 66 % haben noch nie in ihrem Leben eine Musikveranstaltung in Gemeinschaften, einen Jazzclub oder dergleichen besucht; 33 % gehen niemals ins Theater oder Konzert; und 45 % haben sich bisher überhaupt noch nicht mit einer speziellen Liebhaberei — z. B. mit Briefmarkentausch, mit Photographieren oder Schachspielen usw. — befaßt. Dagegen lesen 30 % regelmäßig Bücher und 20 % illustrierte Zeitschriften. Dabei behauptet die anspruchsvollere Literatur und auch das Fachschrifttum seinen Platz.

Überraschen mag, wie sehr sich Jugendliche um ihre berufliche Weiterbildung bemühen. Viele junge Menschen besuchen Abendschulen, Fachschulen und Volkshochschulen; viele bilden sich auch in konfessionellen Organisationen, bei Kulturvereinen, in den Gewerkschaften, in den Jugendverbänden und durch Brief- und Fernkurse weiter. Diese Bildungsbemühungen sind im allgemeinen auf das Berufsleben bezogen; das zeigt, wie nüchtern die Jugend denkt; sie ist vor allem auf nützliches Wissen bedacht.

Wie die Jugend zum Sport steht, ist in der EMNID-Untersuchung „Jugend 1964" ermittelt worden. Danach haben 1954 62 % der Jugendlichen des öfteren als Zuschauer den Sportplatz besucht; 1964 waren es 74 %, darunter insbesondere Lehrlinge und junge Arbeiter. Regelmäßig aber besuchten nur 15% den Sportplatz. Das Fußballspiel übt dabei eine besondere Anziehungskraft aus.

Es treiben heute aber auch mehr Jugendliche Sport als 1954:

1954  / 1964

Es treiben Sport........47 %  / 58 %

es treiben keinen Sport......52% 41%

keine Stellungnahme .....1 %  /  1%

Wenn auch 58 % angeben, Sport zu treiben, so bedeutet das noch nicht, daß sie dies auch in einem für ihre Gesundheit ausreichenden Maße tun. Immerhin geben 25 °/o an, daß sie regelmäßig Sport treiben, 18% öfters und 15% selten. Das Interesse am Fußballspielen ist zurückgegangen; dagegen ist heute das Schwimmen, das Skifahren und das Rodeln mehr verbreitet.

Heute sind auch mehr Jugendliche Mitglieder eines Sportvereins. 1954 waren es 15 °/o, heute 27 %. Im allgemeinen geht es diesen Jugendlichen dabei um körperliche Ertüchtigung, um Spaß am Sport oder an einer besonderen Sportart; nur eine Minderheit sucht in erster Linie gesellige Kontakte. Die Mehrheit der Mitglieder sind männliche Jugendliche, darunter vor allem Schüler und Studenten. Mit zunehmendem Alter erlahmt das Interesse am Sport zusehends.

Tanzmusik zieht die Jugendlichen besonders bei Rundfunk- und Fernsehen an. Sie haben eine besondere Vorliebe für leichte Tanzmusik, Schlager und Jazz. Nach einer Umfrage von Radio Bremen bevorzugen unter den befragten Volks- und Mittelschülern 76% Schlager, 12% Volkslieder, 2 %> klassische Musik1,' 3 % Opernmusik, 3 % Operettenmusik und l % Jazzmusik, von den Oberschülern 35 % Schlager, l % Volkslieder, 25 % klassische Musik, 10% Opernmusik, 8% Operettenmusik und 18% Jazzmusik. Musik, auch die leichte Musik, kann zwei verschiedene Funktionen erfüllen: dem einen ersetzt der Schlager fehlende Erlebnisse, der andere entspannt und erholt sich bei der gleichen Musik, oder er findet Ablenkung und Anregung.

Nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964" tanzt die Jugend heute mehr und lieber als vor 10 Jahren: 1955 gaben 49% der Jungen und 82 °/o der Mädchen an, daß sie gern tanzen, 1964 58% der Jungen und 84 °/o der Mädchen. Besonders tanzlustig sind die jungen Angestellten. Mit steigendem Alter nimmt auch das Interesse am Tanzen zu Die modernen Tänze haben viel Boden gewonnen 1954 sprachen sich 77% der Jugendlichen für di klassischen und nur 10% für die modernen Tanz aus; 1964 zogen nur noch 54% die klassische Tänze, aber 42 % die modernen Tänze vor.

Aufschlußreich ist auch, wie die Jugendliche heute ihren Urlaub verbringen. Nach der EMNID Umfrage „Jugend 1964" haben 82% der Jugend liehen innerhalb des letzten Jahres Urlaub gehabt 92 °/o haben im vergangenen Jahr oder früher einen längeren Urlaub genommen; 46 °/o haben mit Eltern oder Verwandten, mit dem Ehepartner oder mit der eigenen Familie ihren Urlaub gemeinsam verbracht.

Die elterliche Familie spielt demnach eine groß Rolle. Namentlich die Jüngeren unter den Jugend liehen bleiben auch im Urlaub stark mit der Familie verbunden; die Älteren verteilen sich — soweit sie nicht verheiratet sind — vornehmlich auf Eltern und Freunde. Der Freund oder die Freundin anderen Geschlechts wird erst bei den über 21jährigen für die Gesellungsform im Urlaub bedeutsam.

Gegen Entgelt gearbeitet haben während des Urlaubs im vergangenen Jahr 11 % der Jugendlichen unter ihnen meist Schüler und Studenten, das sind etwas mehr als 1954.

Zusammenfassend läßt sich folgendes sagen: Die Freizeit und wie die Jugend sie verwendet, wir stark von der Struktur der modernen Industriegesellschaft her bestimmt. Industrialisierung und Marktwirtschaft haben mehr Freizeit und mehrere Möglichkeiten geschaffen, diese Freizeit auszufüllen und zu nützen. Aber dieses Angebot ist viel fach auch so vielfältig und aufdringlich, daß es dazu verführt, alles nur noch passiv über sich ergehen zu lassen. Jede pädagogische Hilfe oder Beeinflussung muß auf diese Vielfalt eingerichtet sein und die Gefahren wie die Chancen in gleicher Weise berücksichtigen.

Die Kommerzialisierung der Freizeit birgt siehe ihre Gefahren für die Freiheit. Deswegen ist es wichtig zu wissen, welchen Einfluß die „Amüsier-und Vergnügungsindustrie" auf die Jugendliche: ausübt. Nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964 folgen 14% dem Angebot der eigentlichen Vergnügungsindustrie; dazu muß man diejenigen rechnen, die sich durch das Fernsehen nur „berieseln" lassen; das sind allerdings zusammen doch 36 % alle Jugendlichen.

Zwischen dem Verhalten in der Freizeit und den Verhaltensweisen in der Welt der Arbeit und im Bereich der Erziehung bestehen wichtige strukturelle Gemeinsamkeiten, die man sehen muß, wem die Jugend auf richtige Weise zu einem vernünftigen Verhalten in der Freizeit angeleitet werden soll. Schon in der Ausbildung und während der Berufsvorbereitung müssen jene Kräfte und Fähigkeiten entwickelt werden, die eine sinnvolle Mitbestimmung und Mitwirkung möglich machen. Dem die vielbeklagte Passivität der Jugendlichen in der Freizeit entspricht im allgemeinen der Tatsache, daß diese Jugendlichen sich innerhalb der Welt der Arbeit häufig nur als fast mechanisch abverlangte Funktion eines sonst anonymen Produktionsprozesses erleben. Man muß sich sogar ernstlich fragen, ob nicht in diesen Verhältnissen der modernen Arbeitswelt die eigentlichen Ursachen für die Passivität in der Freizeit liegen.

Wenn es heißt, daß die Jugendlichen nicht mehr gewohnt seien, ihre Phantasie spielen zu lassen und daß sie sich deshalb kritiklos der Freizeitindustrie preisgäben, „weil sie dort teilhaben können, ohne selbst aktiv werden zu müssen", so kann man auch umgekehrt fragen, ob dieses Phänomen nicht zum wesentlichen Teil darauf beruht, daß sie im Arbeitsleben „teilhaben müssen, ohne aktiv werden zu können". Jedenfalls dürften Appelle und Maßnahmen, die sich ausschließlich auf die Freizeit beziehen, wirkungslos bleiben, oder sie werden keinesfalls mehr als die begrenzte Wirkung einer Symptombehandlung haben.

Seite 31 - 35: Gesellungsformen der Jugend

Unter den verschiedenen sozialen Gebilden, denen der junge Mensch angehört, zeichnen sich jene Gruppierungen besonders aus, denen sich die Jugend in ihrer und für ihre Freizeit anschließt; sie sind viel weniger von der Welt der Erwachsenen 'bestimmt als die Gebilde der Familie, der Schule, der Kirche, des Betriebes oder des Staates, die den Jugendlichen sonst umgeben und 'beeinflussen. Sie sind vielmehr vorwiegend oder allein auf die Jugend bezogen und nur für die Jugend da. Sie sind deswegen wichtige soziale und personale Übungsfelder der Jugend.

Die EMNID-Umfrage „Jugend 1964" nennt 75 verschiedene Vereinigungen, denen die Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren mit Mitgliedskarte und Mitgliedabeitrag angehören; daneben gibt es vielerlei offene Gesellungsformen, zu denen sich Jugendliche informell zusammenfinden. Das muß zunächst überraschen, da die moderne mobile Gesellschaft im allgemeinen viele Menschen vereinsamen läßt. Doch gerade das veranlaßt sie auch, aus den vielerlei kurzfristigen oder oberflächlichen sozialen Kontakten, die sich aufdrängen, einige auszuwählen, sie intensiver, dauerhafter und daher auch verläßlicher zu machen. In der vorindustriellen Gesellschaft, die in kleinen Gruppen durch Familie, Nachbarschaft und Berufsstand geordnet war, gab es das auch; heute geschieht es aber viel 'bewußter. Überall ist zu beobachten — im Bereich der Arbeit und der Freizeit —, daß die jungen Menschen sich intensiv darum bemühen, die freundschaftlichen Bindungen enger und fester zu gestalten.

Besonders in der Freizeit bilden sich Hobby- und Urlaubsgemeinschaften, zu denen sich oftmals zwei Menschen gleichen Geschlechts zusammenfinden. Diese Partnerschaften bringen dem Partner und seiner Persönlichkeit die voll zugewandte Teilnahme ein; sie vermitteln Anregung, Information und Anerkennung. Im Unterschied zu den formellen Verbindlichkeiten organisierter Gruppen ermöglichen sie einen größeren Spielraum für die individuelle Eigenart. Solche Freundschaften sind in der heutigen Gesellschaft weit verbreitet; zwei Drittel ibis drei Viertel der Jugendlichen kennen sie, die Jungen mehr als die Mädchen. Trotzdem bleibt etwa ein Viertel bis ein Drittel der Jugendlichen vereinzelt und allein. Wo dies unfreiwillig geschieht, weil mangelnde Anerkennung die jungen Menschen unsicher und kontaktscheu gemacht hat, führt es zu hemmendem Mißtrauen; das ist oft die Quelle für Fehlentwicklungen der jugendlichen Persönlichkeit.

Die Freundschaft zu einem Menschen des anderen Geschlechts ist eine Urform menschlicher Gesellung; sie zeigt jedoch bei der Jugend einige neue Züge. Die jungen Menschen finden sich heute schon früh vor der Ehe zu festen Paaren zusammen. Dabei sind Merkmale zu 'beobachten, die für die heutige Zeit typisch sind: Die Freundschaften entstehen fast ausnahmslos dort, wo Jugendliche unter sich sind. Wollen die Eltern oder andere Erwachsene dabei dreinreden, so wird dies weitgehend als Eingriff in den privaten Raum empfunden und zurückgewiesen; Eltern,und Lehrer geben diesem Anspruch zunehmend nach — wenn auch oft nur resignierend.

Den männlichen Jugendlichen liegt mehr die Gesellungsform der Gruppe, den weiblichen dagegen das Paarverhältnis, das ihren Bedürfnissen besonders entgegenkommt, weil in ihm die Partner einander ganz zugewandt und gegenseitig gebunden sind. Die langfristigen festen jugendlichen Freundschaftsverhältnisse sind daher besonders von den Mädchen gefragt; sie versuchen, das Alleinsein und die Unsicherheit auf diese Weise zu überwinden; und sie versuchen das viel stärker und früher als die Jungen. Diese Paarbildung führt wegen der geschlechtlichen Beziehungen, die meist damit verknüpft sind, vorwiegend unter dem Einfluß des Mädchens häufig zur Verlobung und zur Frühehe.

Von der Wissenschaft, in der Sozialarbeit und vor allem auch von der öffentlichen Meinung wird diese Entwicklung mit Sorge beobachtet. Die menschliche Reife ist bei den zu früh begonnenen geschlechtlichen Kontakten viel zu gering, um diese Begegnung mit dem anderen zu wirklich personal vertiefter Liebesfähigkeit, zu Verbundenheit und Verantwortlichkeit zu entfalten. Zu frühe und einseitige Sexualisierung bedroht in besonderer Weise die Persönlichkeit des Mädchens. Durch geschlechtliche Beziehungen, die der Ehe vorweggenommen werden und zur Gewohnheit geworden sind, kommt es leicht zu einer Haltung, die den Genuß in jeder Form überbetont; die sexuellen Beziehungen können mehr und mehr zu Zeitvertreib und Unterhaltung absinken. Diese Überbetonung der Sexualisierung mindert die Fähigkeit, sich zu binden sowie das Engagement der Jugend gegenüber größeren sachlich oder sozial ausgerichteten Gruppen. Der Bildungsprozeß des jungen Menschen wird individualistisch bzw. egoistisch verkürzt und verengt. Wie auch die Stellungnahmen im Einzelnen begründet sein mögen — sie münden allesamt in die Forderung ein, die Jugend für die Begegnung der Geschlechter besser zu erziehen und zu bilden.

Nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964" stehen die traditionellen Wünsche für den Ehepartner, wie Gesundheit, Bildung, gutes Benehmen, positive Einstellung zum Christentum, Familiensinn und Vermögen, nicht mehr hoch im Kurs. An ihre Stelle sind in hohem Maße personell-geistige und individuell-sittliche Vorzüge getreten: Charakterliche Qualitäten wurden mit 39 % genannt, die eheliche Treue mit 20 %, spezielle 'berufliche Fähigkeiten mit 17% und gegenseitiges Verstehen mit 10%. Vor einem guten Jahrzehnt hatte das Traditionelle noch ein wesentlich stärkeres Gewicht; das zeigt folgender Vergleich:

1953
männlich / weiblich
Traditionelle Voraussetzungen 77% / 80 %
Personell-charakterliche Eigenschaften 44% / 58%
Emotionale, erotische, äußerliche Eigenschaften 35% / 40%

1964
männlich / weiblich
Traditionelle Voraussetzungen 41% / 19%
Personell-charakterliche Eigenschaften 70 % / 74 %
Emotionale, erotische, äußerliche Eigenschaften 38 % / 25 %

Die gleichgeschlechtlichen und die gemischtgeschlechtlichen Freundschaften ergänzen und erweitern sich bei der Jugend häufig zu größeren Freundeskreisen. Diese unterscheiden sich von der organisierten Gruppe vor allem darin, daß sie die privaten Bedürfnisse 'befriedigen und den rein persönlichen Beziehungen ihrer Teilnehmer dienen. In diesen Freundeskreisen bewegt sich die Jugend ungezwungen; sie sind offen und im allgemeinen nicht dauerhaft. Nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964" gehören 51 fl/o der Jugendlichen einem Kreis von jungen Leuten an, der öfter oder regelmäßig zusammenkommt; 'bei den männlichen Jugendlichen sind es doppelt so viele wie bei den weiblichen, in den Großstädten mehr als in Gemeinden unter 100000 Einwohnern. Mit zunehmendem Alter nehmen die informellen Bindungen rasch wieder ab.

Die Älteren suchen in den informellen Gruppen vorwiegend Unterhaltung, Geselligkeit und Gelegenheit sich auszusprechen; die Jüngeren bevorzugen Tanz und Sport, Schallplatten und Musik, Radio und Fernsehen, hin und wieder auch die Begegnung mit Literatur, Kunst und Religion. Manchmal wirken solche Kreise auch über die privaten Interessen hinaus, vor allem, wenn sie im Rahmen größerer Gruppen entstanden sind. Die intensiven menschlichen Kontakte können dann für die Ziele der Organisation dienstbar gemacht werden. Auf diese Weise entstehen einflußreiche und aktive kleine Gemeinschaften. Häufig gehen Initiativen und Reformen in größeren Gruppen von solchen Freundschafts- und Bekanntenkreisen aus.

Diese auf Freundschaftsbindungen beruhenden „Kreise" wirken auf die moderne Gesellschaft viel stärker ein als man glaubt: Sie setzen der horizontalen Gliederung der Gesellschaft in nebeneinander stehende Gruppen eine vertikale Kooperation und Koordination zwischen den Gruppen entgegen. Sie bilden Brücken zwischen den Gruppen und geben häufig aufsteigenden jungen Führungskräften eine Chance.

Manchmal finden sich auf diese Weise auch Jugendliche, die vernachlässigt und verwahrlost aufgewachsen sind, in sog. „Gangs" zuammen. Sie bejahen und stützen sich gegenseitig in ihren gesellschaftlichen Ressentiments und rebellieren gegenüber der Gesellschaft. In der normalen Umwelt fühlen sie sich isoliert und versagen; hier erleben sie das Gefühl der Stärke, der Solidarität und des Erfolges. Das hält sie außerordentlich intensiv zusammen. Sie 'bilden eine sehr kleine Minderheit in der Jugend. Man rechnet mit etwa l bis 5 % sogenannter „aktueller Halbstarker" und maximal 10% „potentieller Halbstarker". Die Verhältnisse sind regional verschieden; im übrigen sind an solchen Gangs vorwiegend männliche Jugendliche beteiligt.

Die heutige Jugend begegnet verschiedenen Formen des Zusammenseins von Menschen, von denen sie sich mittragen läßt oder denen sie sich auch anschließt — von der „gleichgestimmten Menge" bis zur Jugendorganisation. Die Bildung einer sogenannten „gleichgestimmten Menge" ist eine typische Folge der Vereinzelung des Menschen in der mobilen Gesellschaft. Die Zusammensetzung dieser Gesellungsform wechselt so plötzlich, wie sie entsteht. Sie bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit, sich individuell, distanziert und unverbindlich zu verhalten und doch eine Gleichgestimmtheit zu erleben, die entlastet, ansteckt und trägt. Unter dem Druck eigener Unsicherheit, Uberbelastung oder mangelnder Fähigkeit, das Dasein zu gestalten, finden sich sowohl einzelne Menschen als auch Paare in der „gleichgestimmten Menge" ein. Sie lassen sich anregen, stecken selbst wieder andere an und lassen sich mehr oder weniger entlastet oder enthemmt mittragen. Dieser Prozeß spielt sich vor allem im modernen Freizeitbereich, in den Zuschauer- und Zuhörermengen bei kulturellen, religiösen oder politischen Veranstaltungen ab, auf Festen, Parties, in Lokalen, in Tanz- oder Jazzclubs, auf den Gesellschaftsfahrten des modernen Tourismus, auf Skipisten, in Strandbädern und in den Kinos. Hier finden Jugendliche häufig ihren Partner oder gesellen sich als Paare dazu, weil sie in der „gleichgestimmten Menge" der Aufgabe enthoben sind, ihre Beziehungen zu ihrem Gegenüber zu gestalten.

Im Spannungsfeld von Person und Gesellschaft wirkt die „gleichgestimmte Menge" als eigenständige, ergänzende und ausgleichende Gesellungsform — allerdings nur so lange, wie die Gleichstimmung (bewußt gesucht und gefunden wird. Geht dieser Charakter verloren, so wird die Menge zur ferngesteuerten Masse, die sich von wirtschaftlichen oder politischen Machtgruppen leicht manipulieren läßt.

Daneben «bilden sich kleinere Gruppen, an die sich Menschen enger 'binden, um sich bewußt zu bilden: Kurse, Lehrgänge, Tagungen und Seminare, um einige Beispiele zu nennen, dringen aus den Bereichen der Arbeit, der Ausbildung und Fortbildung gegenwärtig immer stärker auch in den Raum der Freizeit vor. Hier herrscht das Sachinteresse für die Gesellung und die Bindung vor. Nicht die Person und nicht die Gruppe bestimmt zunächst das Zusammensein. Die Bindungen sind vielmehr „sachlich" und auf einen relativ kurzen Zeitraum begrenzt; nach dem Ende des „Kurses" treten die Teilnehmer wieder in ihre individuelle Ungebundenheit zurück. Die Kursteilnehmer sind untereinander durch gleichgerichtete Erwartungen verbunden und ihre Beziehungen zu der Kursleitung richten sich nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung. In diesem „Engagement auf Zeit" werden die Anforderungen und die Gebote, sich unterzuordnen, ohne weiteres anerkannt, weil sie im Zusammenhang mit einer Leistung stehen.

Im Integrationsprozeß der modernen Gesellschaft erfüllt auch diese Gesellungsform wichtige Funktionen. In der modernen Leistungsgesellschaft müssen sich Fachleute und Laien begegnen können; anders kann der einzelne sich nicht mehr so weiterbilden, daß er den Überblick über die Verhältnisse behält, in denen er lebt. Für den jungen Menschen ist die Gesellungsform des „Kurses" auch deswegen wichtig, weil sie geeignet ist, individuelle Bildungsinteressen und Bildungsfähigkeiten zu wecken und zu fördern. Weil diese Kurse in der Regel kurz sind und sachlich ausgerichtet, entsprechen sie dem allgemeinen Bedürfnis der Jugend, die sich weithin nur partiell binden möchte. In der Jugendhilfe werden sie deshalb auch als sogenannte „offene Arbeit" mit „Nicht-Organisierten" weithin geübt.

Die „offene Arbeit" wird für die Jugendlichen noch gelockerter in den „Häusern der offenen Tür" durchgeführt. Sie verlangen keine formelle Bindung. Nach der EMNID-Umfrage „Jugend 1964" haben 19% der Jugendlichen an solchen Veranstaltungen teilgenommen, fast zwei Drittel davon jedoch nur gelegentlich.

Die formellen Bindungen sind nicht ganz so stark verbreitet wie die informellen. 51 % der befragten Jugendlichen zählen sich zu einer informellen Gruppe; 39% dagegen sind Mitglied in einer oder mehreren Vereinigungen — die Jugendorganisationen mit eingeschlossen — und zahlen einen Mitgliedsbeitrag; das gilt für 53% der männlichen und für 23 % der weiblichen Jugendlichen. Die meisten sind unter 18 Jahren alt; mit dem 18. Lebensjahr werden viele Mitgliedschaften wieder gelöst. Zwischen 1954 und 1964 ist bei den Jugendverbänden die Zahl der Mitglieder im allgemeinen zurückgegangen — ausgenommen die Verbände der deutschen Sportjugend, die mehr Mitglieder gewonnen als die übrigen Jugendorganisationen verloren haben.

Zunächst mag überraschen, daß die Mitglieder formeller Gruppen sich nicht so häufig treffen wie die der informellen Kreise. Das hat jedoch seinen guten Grund: Dort zieht die Unterhaltung an; die Mitglieder der formellen Vereinigungen führt ein gemeinsames Interesse zu gemeinsamer Arbeit und gemeinsame Gesinnung zu gemeinsamem Leben zusammen.

Die organisierte, d. h. die bewußt nach innen wie außen gestaltete Jugendgruppe ist stark „öffentlich" ; sie hebt sich durch ihre Ziele und damit durch ihre eigene Lebensform deutlicher von der Umwelt und häufig auch von der persönlichen Welt ihrer Mitglieder ab. In der organisierten Jugendgruppe finden sich die individuellen Unterschiede und Gegensätze zu einer gleichgestimmten Gemeinschaft und zu gemeinsamer Arbeit zusammen. Wo sie Jungen und Mädchen umfaßt, begegnen die Jugendlichen dem anderen Geschlecht ohne jene Direktheit und ohne jene Übersexualisierung, wie sie die Paarbeziehung häufig beherrscht. Das Kennenlernen und der Umgang der Geschlechter vollziehen sich unter neutralen Bedingungen und in vielfältigen Formen; dadurch werden die personalen Beziehungen zwischen den Geschlechtern in guter Weise vorbereitet, bereichert und geübt. Im übrigen werden alle sozialen Werte, alle Normen und Formen der Autorität, die die Mitglieder in ihrer Zusammenarbeit verwirklichen, zu einer bildenden Erfahrung.

Die Jugendgruppe ist eine wichtige Gemeinschaft der sozialen Bildung. Gerade weil sie im Bereich der freien Zeit des Jugendlichen liegt, wo der junge Mensch noch ein Lernender sein darf, wächst ihr mehr als jeder anderen Gesellung diese Funktion zu. Phantasievoller, naiver und hingabebereiter als die Erwachsenen suchen und finden die jungen Menschen hier eigene Aufgaben und Lebensformen; und sie tun dies aus freiem Willen. Hier üben sie auch den Mut, sich im öffentlichen Leben zu Wort zu melden. Für die Führung wird in diesen Gruppen nur anerkannt, wer sich durch besondere Leistung auszeichnet. Auf diese Weise aktiviert die Jugendgruppe Führungsbegabungen; sie entwickelt Führungskräfte und übt die Kunst, zu führen, ein.

Die Jugendgruppen pflegen darüber hinaus auch die Geselligkeit; sie sind die wichtigsten Gemeinschaften für eine breite musische Bildung. Hier lernen die Jugendlichen Musik und Spiel und Tanz und nehmen sie selbstverständlich in ihr Leben mit hinein. Gegenüber den meisten sozialen Gebilden, in die der junge Mensch eingeordnet wird, gegenüber den vielfältigen Abhängigkeiten, die er von den Erwachsenen erfährt, gegenüber den Tendenzen, ihn zur Funktion der modernen Arbeits-, Ausbildungs-, Verkehrs- und Verwaltungssysteme zu degradieren, wirkt die Jugendgruppe wie eine Zuflucht. Sie kann sich allerdings auch von einem „Schutzraum" in einen „Fluchtraum" verwandeln, aus dem der Jugendliche manchmal nicht mehr in die größere und umfassendere Welt zurückfindet.

Typisch dafür ist die Gestalt des „ewig Jugendbewegten von gestern". Aber die Jugendarbeit der Gegenwart scheint im großen und ganzen dagegen doch ebenso immun zu sein, wie die Jugendlichen selbst.

Die Zeiten, da man „mit Leib und Seele" Turner, Arbeitersportler, Pfadfinder, Schrebergärtner oder Wandervogel war, sind vorbei. Heute bindet sich die Jugend auch in den organisierten Gruppen weniger eng und kurzfristiger; und die Bindungen an Gruppen überschneiden sich und wechseln vielfach. Die Jugend ist in ihrem geselligen Verhalten beweglicher geworden. Das Wechseln von Gruppe zu Gruppe ist nicht mehr verpönt. Aber das macht die Jugendgruppe auch labil; sie ist beständig durch Desintegration bis hin zur Auflösung bedroht. Das läßt sich vor allem bei solchen Gruppen beobachten, die sich spontan aus der „gleichgestimmten Menge" bilden oder die durch die Initiative einer starken Persönlichkeit entstehen. Ist die anregende Stimmung abgeklungen oder die Initiative des Führenden verbraucht, zerfallen sie oft wieder rasch.

Nur dort, wo sich neben dem spontanen und wechselnden Gesellungsbedürfnis auch Bestrebungen entwickeln, die der Gemeinschaft Stabilität und Kontinuität verleihen — zumeist um der Idee, um der Sache willen — bleiben die Gruppen bestehen. Sie schließen sich dann meistens einem Verband an; und wo ein solcher Verband nicht besteht, gründet man einen durch den Zusammenschluß mehrerer Gruppen mit ähnlichen Interessen. Damit wird viel für die Stabilität der Gruppen gewonnen: Feste Formen, Vertretung nach außen, Beschaffung finanzieller Mittel, höhere und vielseitigere Möglichkeiten, sich zu betätigen — oft in hauptberuflicher Position —, und größere Möglichkeiten, Einfluß zu gewinnen. Dieser Prozeß bringt aber auch Gefahren mit sich: Das Spontane erstarrt leicht im Bürokratischen; der Bewegungsspielraum der Jugendgruppen und ihrer Organisationen kann durch übergeordnete Dachverbände von Erwachsenen beschränkt und von einer engen Interessenpolitik überwuchert werden.

Den Jugendverbänden wird oft zu Unrecht vorgeworfen, sie würden nur einen kleinen Teil der heutigen Jugend ansprechen; man übersieht dabei, daß Jugendverbände durch Bekenntnis und Aktion gebildet und zusammengehalten werden, daß sie gerade dadurch als Aktionskerne anregende, kritische und ordnende Funktionen in der Gesellschaft erfüllen. Sie müssen von ihren Mitgliedern viel fordern. Deswegen können sie immer nur eine Auswahl von Jugendlichen erfassen. Doch steckt in dem Vorwurf ein richtiger Kern: Alle Jugendlichen brauchen heute vielfältige Bildungsmöglichkeiten; sie sollten deshalb auch alle an solchen Gesellungsformen teilhaben können. Die sogenannte „unorganisierte" Jugend zieht daher mit Recht immer stärker das Interesse der Öffentlichkeit auf sich.

Die moderne Freizeit gewährt dem Menschen Freiheiten, die viele überfordern. Inmitten der Fülle von Angeboten und Reizen verliert so mancher junge Mensch den Halt. Dies geschieht kaum im straff geregelten Bereich der Arbeit und der Berufsausbildung; hier wird eher zuviel Disziplin gefordert und zu wenig Freiheit, sich zu entscheiden, eingeräumt. Aber gerade diese Diskrepanz macht die „Freizeit" problematisch. Sie verlangt nach offenen Formen der Jugendbildung und Jugendhilfe, Formen, die nicht nur kleine Gruppen Freiwilliger und Interessierter ansprechen, sondern alle. Der demokratische Staat setzt ein gebildetes Staatsvolk voraus. Die Freiheit fordert die politische, die kulturelle und wirtschaftliche Auseinandersetzung heraus; deswegen muß die Demokratie alles tun, damit ein jeder ihrer Bürger seine Persönlichkeit optimal entfalten kann und sich in die Kultur und die Gesellschaft integriert; zu beidem aber gehört Bildung.

Die „offene" Jugendarbeit versucht auf diese modernen Bildungsanforderungen Antwort zu geben. Die „offene" Arbeit muß sich zunächst auf die individuellen und persönlichen Bedürfnisse des Jugendlichen einstellen, auf seine individuellen Unvollkommenheiten, Mißverständnisse und Aggressionen. Sie spricht von vornherein alle Jugendlichen an. In erster Linie aber will sie die „Skeptischen", die sogenannten „Unorganisierten" erreichen. Diesen Einzelgängern muß sie inhaltlich und didaktisch vielfältige Einzelveranstaltungen anbieten; nur so kann sie den Jugendlichen zu sozialer, politischer, musischer oder auch berufsbezogener Bildung anregen. Sie muß darüber hinaus eine lebendige pädagogische Phantasie und neue didaktische Methoden entwickeln.

Für diese Arbeit fehlen noch viel zu viel Jugendleiter und ehrenamtliche Helfer. Außerdem müssen auch hier die Programme und Veranstaltungen noch eine bestimmte Gestalt haben, die ein Minimum an Bereitschaft, sich einzugliedern, voraussetzt. Deswegen fügen sich der offenen Arbeit oft jeweils nur diejenigen unorganisierten Jugendlichen ein, die bereit sind, sich ihrem Stil und der übergeordneten Programmatik des jeweiligen Trägers auf längere Zeit anzupassen. Natürlich werden manchmal auch minderbefähigte oder schwierige Jugendliche ausgeschlossen. Die Räume, die den Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden, sind oft noch zu sehr nach dem Geschmack der Erwachsenen eingerichtet: Zu perfektionistisch, zu sauber, zu sehr nach Architektenidealen. Man sollte den Jugendlichen möglichst viele Räume zur Gestaltung freigeben und sie zur Mitgestaltung auch herausfordern.

Die „offene Arbeit" selbst wird viel zu wenig vom öffentlichen Bewußtsein mitgetragen. Es gibt in Deutschland kaum private Stiftungen und Vereinigungen, die der „offenen Arbeit" materielle Sicherheit und Beständigkeit geben. Ohne diese Sicherheit kann sie die notwendige Beweglichkeit nicht erlangen; die Jugendleiter sollten ihre Zeit und ihre Kraft nicht vorrangig darauf verwenden müssen, materielle Mittel zu beschaffen und öffentliche Gelder zu verwalten.

Die Jugendverbände können in Gefahr geraten, sich selbst zu verlieren, wenn sie sich zu stark und zu wenig kritisch der „offenen Arbeit" zuwenden, wenn sie ihre Aktivitäten vor allem auf die Hilfe für die „Unorganisierten" ausrichten. Sie können dann ihren Charakter als Erziehungs- und Bildungsgemeinschaften, in denen freiwillige Verpflichtungen abverlangt und auslesende Bedingungen gestellt werden, nach und nach einbüßen. Nicht nur sie selbst würden dann Einbußen erleiden; auch die Gesellschaft als Ganzes würde den Verlust spüren. Denn jede Gesellschaft, besonders aber eine moderne demokratische Großgesellschaft, bedarf der Aktivitätskerne, in denen sich junge Menschen gegenseitig erziehen und verantwortlich Initiativen für das Gemeinwohl entfalten.

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