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Halbstarke meuterten erneut

Wuppertal, 13. Oktober 1956. (rst) Sie waren schon wieder unterwegs. In Wuppertal schlugen zehn Jugendliche drei Liebespärchen brutal nieder. Die Halbstarken werden immer mehr zum Problem. Dabei soll es sich jedoch nur um eine kleine Minderheit der Jugend handeln, so Meinungsforscher. Die Ursachen für das Verhalten der Rowdys scheinen zwar inzwischen geklärt, machen aber wenig Hoffnung auf baldige Besserung der Situation.

Kaum ein Tag vergeht ohne erneute Übergriffe halbstarker Jugendlicher. Der jüngste Vorfall in Wuppertal ist dabei nur einer von vielen. Immerhin fünf der zehn Täter, die dort drei Liebenspärchen auftaten und brutal niederschlugen, konnten von der Polizei festgenommen werden. Sie stehen im Alter von 16 bis 23 Jahren. Auch in anderen Teilen der Bundesrepublik kam es in jüngster Zeit zu Übergriffen: In Hamburg überfielen etwa 20 Jugendliche eine 22jährige Ehefrau, rissen ihr die Kleider vom Leib und verübten unzüchtige Handlungen. In Berlin kam es zu Straßenschlachten zweier Horden, von denen sich eine als "Totenkopfbande" tituliert. Und in Heidelberg störten Jugendliche ausgerechnet eine Diskussion in der Universität zum Thema "Ist die Bezeichnung Halbstarke gerechtfertigt?".

Die Bielefelder Meinungsforscher des Emnid-Instituts liefern uns in ihrer Untersuchung "Wie stark sind die Halbstarken" Hintergründe zum Handeln der Jugendlichen. Danach soll es sich bei diesen nur um eine kleine Minderheit handeln, die durch allzu großen Lärm über Gebühr stark erscheine. Diese Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren werden von den Forschern als eine Generation bezeichnet, die das Elternhaus jahrelang ohne Vater erlebte, in der Kriegs- und Nachkriegszeit ihr Schulwissen erwarb und unter schwersten psychischen und körperlichen Belastungen heranwuchs. In Düsseldorf wird man diese Erkenntnisse bestätigen können. Dort betreut das Jugendamt schon seit Jahren Jugendliche, die abenteuernd zwischen den Großstädten hin- und herpendeln. "Wandernde Jugend" nennt sich dort eine Abteilung im Jugendamt. Seit 1948 wurden in dieser Abteilung bereits 10.000 Jugendliche im Alter von 14 bis 25 Jahren betreut. Viele dieser Jugendliche kehren nach den Erfahrungen des Düsseldorfer Jugendamtes zwar wieder zu geordneten Verhältnissen zurück, einige aber spült das Leben auch als Strandgut vor die Gerichte. Dies macht deutlich: Man hat sich zu wenig um die Jugendlichen gekümmert. Um ganze 87 Prozent ist in Deutschland im Vergleich zum Jahr 1933 die Jugendkriminalität angestiegen. Die Erwachsenenkriminalität nahm dagegen nur um 33 Prozent zu.

Die Gründe dafür sind vielfältig an der Zahl. Neben der fehlenden Vaterfigur könnte auch eine falsch verstandene Gleichberechtigung der Frau, also der Mütter, verantwortlich gemacht werden. So sieht es zumindest der Jugendring-Vorsitzende Zündorff. Die Mutter sei ein zwischen Beruf und Haushalt hin- und hergehetztes Wesen geworden, statt der Mittelpunkt eines Zuhauses zu sein, dessen Ordnung das Rückgrat für das Leben draußen stärkt, so vermutet Zündorff. Oder ist es doch nur der Glanz der Großstädte in Westdeutschland mit ihren hohen Verdienstmöglichkeiten und Vergnügungen, der die Jugendlichen in derartiger Weise beeinflußt? Dabei ist das Problem der meuternden Jugend nicht nur auf Westdeutschland begrenzt. Auch in vielen anderen Ländern, auch in solchen, die nicht vom Kriege berührt waren, ist die Jugendkriminalität in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Halbstarke machen heute ebenso München wie Rom, New York wie Moskau unsicher.

Die Experten sind sich in ihren Erklärungen darüber einig, daß die Jugend zuviel sich selbst und ihren falschen Überlegungen aus nicht verarbeiteten Filmen oder aus falscher Lektüre überlassen ist. So scheint der amerikanische Schauspieler James Dean auch heute noch seinen Einfluß auf die Jugend nicht verloren zu haben, obwohl er bereits vor einem Jahr bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Mit Dean hatte die Jugend ohne Zweifel ein Vorbild, sah in ihm den jungen, unverstandenen Wilden, dem sie heute nacheifert. Und die Filmemacher sorgen bereits für neuen Stoff: In Berlin entsteht gerade der Film "Die Halbstarken", der im Dezember in den Kinopalästen zu sehen sein wird. Mit Horst Buchholz haben die Filmemacher dabei einen jungen und vielversprechenden Schauspieler verpflichtet, der kürzlich mit dem Berliner Kunstpreis "Junge Generation 1956" ausgezeichnet wurde. Und gerade dieser Film könnte den heutigen Halbstarken einen neues Vorbild liefern: Der 22jährige Buchholz hatte bei der Rollenbesetzung die Wahl zwischen einem guten und einem bösen Jugendlichen. Und er habe sich für den bösen entschieden, weil diese Rolle mehr Dynamik und mehr Schattierungsmöglichkeit biete, so Buchholz.

Quelle: http://www.wdr.de / WDR-Rundfunksendung vom 13.10.1956