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Archiv Rock und Revolte

Die "Berlin Szene" im Spiegel des BLICKPUNKT

 

Ratten sollen bei 90 Phon Düsendonner mausetot umfallen. Empfindsame „sloopy"-Gäste dämpften ebenso lautstarken Bomben-Beat, indem sie ihre Trommelfelle mittels zerknüllter Papierserviettenschnipsel vor einer Zerreißprobe bewahrten. Wer derartigen Radau ohne improvisierte Gehörgangsstöpsel erträgt und sich diesem Experiment regelmäßig aussetzt, dürfte sich sehr frühzeitig zum Neurotiker entwickeln, wenn sich nicht noch erheblicherer Schaden in seinem Dachstübchen ereignet. Es sei denn, irgendein Vernünftiger drosselte den Höllenlärm aus 16 Lautsprechern auf normale, erträgliche Lautstärke. Die Freud« am Zuhören zu kultivieren, wird eine recht schwierige und sehr viel diplomatisches Geschick erfordernde Aufgabe für den staatlich geprüften, erfahrenen Jugendpfleger Peter Matow sein, dem die „sloopy"-Klubleitung vertrauensvoll in die Hände gelegt worden ist. Vorerst vibrieren sogar noch die hölzernen Banklehnen in Berlins viertem Jugendtanzcafe unter den Schallwellen und übernehmen somit unbeabsichtigt die Funktion von Massageapparaturen zur Behebung von Bandscheibenschäden. Ob diese beinahe gesundheitsfördernde Nebenwirkung den Lottobeirat bewogen hat, die Jahresmiete für 1967 in Höhe von 120000 Mark zu spendieren? In der über „sloopy" etablierten Bowlingbahn dürften trotz eingezogener Spezialakustikdecke sehr viel seltener als bisher „alle Neune" umgerollt werden. Vielmehr ist anzunehmen, daß bei soviel Temperamentsaufwallung aus dem Erdgeschoß selbst die ruhigsten Kugeln immer häufiger als „Ratten" von der Bahn abkommen. Daß sich noch mancher über „sloopy" die Haare ausraufen wird, deutet der struppige Hausgeist des Schaluppchens bereits an.

Mit seiner rustikalen, in den Farben Grün, Braun und Rot harmonisch abgestimmten, zweckmäßigen und jugendlichen Stilauffassungen angepaßlen Einrichtung ist dieser neueste Tanzschuppen eine Mischung von Präriehütte und Drugstore, aber mit allen technischen Raffinessen ausgestattet, die zu Recht das Prädikat „Superschau" verdienen. Siebenfacher Frischluftwechsler, achtkanaliges Mischpult, 140 Watt Verstärkerleistung mit Nachhall und nochmaliger Leistungssteigerung von 50 Watt sind imponierende technische Details. 150 Beleuchtungskörper können über 350 Sitzplätzen durch einen stufenlosen Helligkeitsregler gesteuert werden. Die Gesamteinbaukosten betragen 120000 Mark. Davon investierte die Kindl-Brauerei 50000 Mark, ein Sümmchen, das sich durch den Flüssigkeitskonsu'm sehr bald amortisiert haben dürfte (1 Flasche Kindl-Pilsener ist auf der Getränkekarte mit 0,90 DM ausgepreist. Martini „on the rocks" mit 1,30 D-Mark und eine ganre Flasche Sekt kostet 8 DM). 1500 Flaschen können in zwei Großraumkühltruhen der Bar gelagert werden. In „sloopy" werden zum erstenmal die Kindl-Herren mit der Jugend groß ins Geschäft kommen. In den anderen drei Jugendtanzcafes schöpft den Profit die Schultheiss-Konkurrenz ab.
„sloopy"-Clou ist die 65 Quadratmeter große, aus 15 cm starken feingeschliffenen Vierfarbengranitplatten zusammengesetzte, stampffeste und dauerhaltbare Tanzfläche, die selbst stärkster Strapazierung unversehrt widerstehen soll. Darüber illuminieren von nachtschwarzer Decke Tiefstrahler in Bonbonfarbtönen die intime Tanzsphäre.

„sloopy" ist unser jüngstes Projekt, wird aber wahrscheinlich nicht unser letztes sein", verkündete mit Besitzerstolz Hans-Dieter Wehowski, einer der beiden gleichberechtigten Vorsitzenden des Berliner Jugendclub e. V., der der Träger aller Berliner Jugendtanzcafes ist. Den Vorwurf eines Expansionsdranges entkräftete Wehowski gleichzeitig. „Es geht uns weder um Macht noch darum, jemand zu verdrängen. Wo entsprechende Räumlichkeiten in dichtbesiedelten Wohngebieten unserer Stadt fehlen, wollen wir den Jugendlichen mit derartigen Einrichtungen ein Freizeitangebot machen. Viele ähnliche kommerzielle Domizile profitieren davon. Wir finden es gut, daß sich der Jugendklub in dieser Beziehung bewährt hat."
„sloopys"-Feierabend-Arrangement für 15- bis 25jährige erläuterte Wehowskis Vorstandskollege Gerhard Zahmel. Danach ist die Tanzbär täglich, außer montags, von 19 bis Mitternacht geöffnet. Die Eintrittspreise staffeln sich je nach Programm und Wochentag von 0,50 bis 2 DM. „sloopy" dokumentiert seinen Klubcharakter dadurch, daß es Klubmitiglieder aufnimmt, wenn sie einen Jahresbeitrag von 12 DM auf den Tisch legen. Als Gegenleistung bietet der Klub eine Ermäßigung und stellt auch sonstige Vergünstigungen bei Sonderveranstaltungen in Aussicht. Nach siebereinhalbmonatiger Bauzeit hob die kommunalpolitische Prominenz in Anwesenheit des Brauereidirektors Drummer, der Architekten und
des jugendlichen Bauherrn Roth am 10. März mit Bieranstich, Hackepeterbüfett und Schusterjungen „sloopy" aus der Taufe. Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Dr. Gutsche gratulierte mit herzlichem Glückauf. Senator Neubauer — nach 50 Wahlversammlungen leicht erschöpft — faßte sich kürzer als die Miniröcke der anwesenden „sloopy"-Tänzerinnen und stellte nach einem etwas zynischen Schlenker gegen das Lotto — „ich kann den Namen nicht mehr hören" — fest, daß das Geld in „sloopy" gut angelegt worden sei. „Viel Vergnügen allen, die den Klub bevölkern werden", wünschte Berlins oberster Jugendförderer zum Abschluß und ließ sich mit den anderen Ehrengästen vom 90-"Phon-Sound der Londoner „Soul Trinity" zu erhöhter Aufbruchsgeschwindigkeit antreiben. Vor der Haustür stöhnte einer der geladenen Gäste unter der giftgrünen Neonleuchtreklame am „sloopy"-Eingang: „Arme Hoeferstraße, deine sanfte Ruhe ist dahin."

ER

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