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Archiv Rock und Revolte

Die "Berlin Szene" im Spiegel des BLICKPUNKT

 
Beat macht sich bezahlt

von
Erich Richter

Es wäre eine charmante Untertreibung, wollte man behaupten, Berlin sei von einer Beatwelle überschwemmt worden. Vielmehr ergießt sich seit etwa drei Jahren eine wahre Flut harter Musik mit immer stärkerer Phonzahl über alle Bezirke der westlichen Stadthälfte. Noch ist nicht vorauszusagen, ob oder wann überhaupt die Wände der Beatschuppen aufhören werden zu scheppern. Die Berliner Jugend läßt sich vergnügt vom Sog quirlender Schallwellen mitreißen und hat am lärmenden Spektakel eine ungehemmte Freude. Ein bonbonfarbenes Teenager-Magazin ruft millionenfach bravo dazu und entfacht die überschäumende Brandung zu immer neuen Wellenbergen, von denen die offizielle Jugendarbeit über Bord gespült zu werden droht. „Ab 16 ist sie sowieso uninteressant und Krampf", behauptet einer, der durch den Beat sein soziales Prestige bereits erheblich anheben konnte. Wie er denken auch die musizierenden Beatgruppen, die sich gegenseitig bei der Erfindung origineller illustrer Namen an Einfallsreichtum übertreffen. Da beateln sie in Samtwesten, Lederdreß, Barkeeper - Jacketts mit glitzerndem Straß, bis die Fransen ihrer Mopfrisuren wild herumfliegen, die „Boots" und „Phantoms", da greifen sie in die Saiten, die „Sounds", „Plus-Four" und „Kids", da zupfen die „Ones",„Allys", „Torries" und „Huts", da schaffen sich die „Cadillacs", die „Rackets" und die „Team-Beats". Die Jüngsten der etwa 300 Bands, kaum älter als 13 Jahre, nennen sich „Gravedigger" — Totengräber also -, doch auch sie mischen dem Beat noch keinen Grabgesang, sondern versuchen durch emsigen Fleiß, den älteren Konkurrenten langsam das Wasser abzugraben.

Die vom Steuerzahler finanzierten schmucken Häuser der Jugend können ihre Funktionen infolge ständig absinkender Besucherzahlen nur noch im begrenzten Maße erfüllen, weil die Mehrzahl gerade an den begehrten Wochenenden geschlossen ist oder behördliche Immobilität einen Wall hemmender Hindernisse vor denen auftürmt, die den Beat im edlen Wettstreit auch in ihnen zum Zuge kommen lassen wollen. Da das Tempo der jungen Leute mit der Behäbigkeit der Verwaltung kollidiert, weichen sie aus in kommerzielle Klubs, Tanzlokale oder Festsäle, die zu Beatdomizilen geworden sind und vor jugendlicher Betriebsamkeit vibrieren. Resigniert trösten sich die zuständigen Ämter mit der Feststellung, daß doch auch die Tanzfreudigkeit und Beatbesessenheit der jungen Generation durchaus positive gesellschaftliche Aspekte habe, da sie ganz ohne Knigge die Umgangsformen im geselligen Beisammensein kultiviert haben soll.

Klamauk gehört dazu

Beim Beat — hervorgegangen aus der waschbrettrubbelnden Skifflemusik — elektrisiert der Rhythmus. Kenner erkennen die Feinheiten, die Stilrichtung, die zeitgemäße Tendenz zur sanfteren Folkloremusik. Nur sie haben ein Ohr für die Präzision der Musiker, die virtuose Beherrschung ihrer Instrumente wie für den harmonisch aufeinander abgestimmten Gesang. Aber auch ihnen bersten fast die Trommelfelle, ehe sie herausgefunden haben, welche Band den besten Sound dargeboten hat.

Für die Normalverbraucher ist vor allem der Sänger zentraler Anziehungspunkt. Er muß eine gute Figur machen, sich hinreißendproduzieren, wobei auch erotische Momente eine erhebliche Rolle spielen. Er soll so wirken, daß die Mädchen hysterisch kreischen oder reihenweise in Ohnmacht fallen können. Der Band, der solche Show gelingt, wird das anspruchslose Publikum am ehesten den Glorienschein des Starruhms zubilligen. Bei den Fans drehen sich die Beatplatten wie ein Perpetuummobile, daher ist ihnen Jede Nuance der gängigen Beattitel geläufig. Wehe der Band, die das nicht original nachspielen kann, sie ist gestorben. Dazu ein aktiver Beatamateur: „Wir spielen brühwarm mehr oder weniger qualitativ die Sachen nach, die von den großen Vorbildern komponiert und herausgebracht wurden, und das,Volk' freut sich eben, wenn diese Titel, die es kennt, von uns möglichst originalgetreu, natürlich mit dazugehörigem Klamauk, interpretiert werden."

Auch die Finanzämter verdienen am Beat

Aus dieser Perspektive betrachtet, Ist es weniger die Beat-Musik selbst, die fasziniert, sondern viel eher die Show. Beatamateure und Profis geben unumwunden zu, daß es sich nur die Beatles leisten können, ohne Faxen zu spielen, während es alle anderen nötig haben, sich möglichst durch artistische Attraktionen auf der Bühne hervorzutun, wenn sie „ankommen" wollen.

Dieser Jokus ist nicht zufällig zum wesentlichen Attribut des Beats geworden, er wurde von den Psychologen unter den Publlcity-Managern hochgespielt. Immer neuer Firlefanz wird veröffentlicht, bis ein Mythos - entsteht und das Geschäft mit dem Beat pausenlos floriert. Mit Ausnahme der durch Schaden klug gewordenen Versicherungen verbuchen Schallplattenproduktionen, Filmgesellschaften, die Textilbranche, Zeitungen, Zeitschriften, Gastspielunternehmen, Gastronomen, Brauereien, Spirituosenfabriken, Sektkellereien, Musikalienhandlungen, radiotechnische Firmen und schließlich auch der Fiskus erhebliche Einnahmen ä conto Beat. Ahnen die Fans, die sich im Beatrausch Kleider und An-zilge zerfetzen, in welchem Ausmaß sie Opfer dieser bewußten Manipulationen geworden sind?

Engagiert werden ist alles

Die Aktiven streben die erfolgversprechende Karriere an, für sie opfern sie jede Freizeitminute. Die erste Sprosse auf der steilen Stufenleiter ist die Prädikatisierung als Siegerband eines Festivals. Dabei reizen nicht die In Aussicht gestellten Trophäen, sondern die sich mit den Lorbeeren einstellenden Engagements. In der Vorreklame winken den Siegern Schallplattenaufnahmen und natürlich auch Vertragsabschlüsse mit Bar- und Ballsaalbesitzern, die sich vom Gastspiel einer gekürten Siegerband einen starken Besucherzustrom und volle Kassen versprechen. Für die Beatmusiker selbst sind die acht bis fünfzehn Mark Stundenlohn nicht sehr viel, wenn man die hohen Investitionen berücksichtigt, die sie für Instrumente, Mikrophone, Verstärker und Transporte auf sich nehmen mußten und die in die Tausende gehen. Aber selbst ein bescheidener Verdienst gilt trotzdem als verlockender Anfang, denn er verringert die Abzahlungs-' raten. Außerdem halten laufende Engagements den Manager, der natürlich seine Prozente verlangt, bei guter Laune. Nach Abzug der Steuern summiert sich Ultimo doch ein relativ zufriedenstellender Nebenverdienst. Dafür ertragen sie schon ein Festivalfieber. Durchgeschüttelt, unermüdlich eingeübte Akkorde zupfend, synchron herumhüpfend schleudern sie aus heiseren Kehlen über Mikromembranen heiße Schallwellen in den Saal. Wer einmal als unbeteiligter Zuhörer miterlebt hat, mit welchem Elan bei einem solchen Festival über die Distanz von vielen Stunden um den Sieg gespielt wird, kann den jungen Musikern eigentlich nur staunende Bewunderung zollen. In dieser unbarmherzigen Schlacht heißer Synkopen wird jeder Band während ihres Auftritts auch physisch ein Maximum an Leistung abverlangt.

Die Routiniers mit dem ausgebuchten Terminkalender in der Tasche haben die Beatolympiade nicht nötig, denn sie gehören bereits zur Elite, die sich die Angebote auswählen und den Nachwuchs großmütig gewähren lassen kann. Ihren Geschäften wird der noch nicht gefährlich.

Der Traum vom Starruhm

Schier unerschöpflich ist auch das Reservoir des karrierelüsternen Sängernachwuchses. Ihn lockt die Gastronomie Hand in Hand mit mancher Schallplattenproduktion an den Start zum großen Juniorenwettbewerb. Da strömen sie dann herbei, die Möchtegernstars, die so sehnsüchtig das in den Illustrierten bis zum Überdruß rosarot beschriebene Dolce-vita-Dasein der Schallplattenstars erleben möchten. Dann kopieren sie die Stimme ihres Schlageridols, zittern vor Aufregung, jemand könnte das Kabel aus der Leitung reißen und damit ihr kümmerliches Stimmchen offenbar werden lassen, und sind selig, wenn der Beifall kleckert, die willkürlich zusammengesetzte und selten sachkundige Jury eifrig Notizen kritzelt und schließlich so etwas wie ein Sieg an Hand einer Urkunde bestätigt wird. Der Claque, die die Jury beeinflussen sollte, spendieren sie, animiert vom Zufallserfolg, großzügig und zur Freude des Lokalbesitzers eine Lage. Dann stellen sie sich linkisch noch schnell für die zahlreich eingeladenen und sich an Imbißplatten labenden Pressefotografen in Positur. Schließlich warten sie und warten sie auf den Schallplattenvertrag, der nie ankommt, und wenn sie nicht aus seelischem Kummer gestorben sind, haben sie vielleicht doch begriffen, daß ihr Debüt ein Fehlstart war und der ganze Wettbewerb nur von pfiffigen Werbefachleuten kalkuliert war, deren Rechnung dank treuherziger Gutgläubigkeit junger Menschen aufgegangen ist. Denn ginge es ernsthaft darum, Talente für die Schallplattenproduktionen ausfindig zu machen, böten sich bei profilierten Gesangspädagogen, in Konservatorien und Musikhochschulen weitaus günstigere Gelegenheiten sind die Herren Producer offensichtlich nicht interessiert. Ebensowenig kümmern sie sich um die Förderung stimmlich prädestinierter junger Menschen, sonst würden sie an Stelle kitschiger Urkunden mit aufgepapptem Glücksamulett einen Beitrag zum Gesangsstudium bei hervorragenden Pädagogen leisten und zur Vervollkommnung der künstlerischen Begabung beitragen. Doch soviel Mühe halten die Werbebüros für nutzlos. Dieser Aufwand steht nicht zur Debatte. Geschäfte mit der Jugend sind billiger und effektiver.

Die Branche der Veranstaltungsklubs

Auch manche jungen Berliner schielen nach dem Profit im Beatgeschäft. Michael Rödig — ein sympathischer, mit ausgesprochenem Organisationstalent begabter cleverer junger Mann — scharte vor zwei Jahren ehemalige Mitschüler und Freunde seiner vom Zerfall bedrohten Jugendgruppe um sich, fand mit Hilfe eines Grafikers den zugkräftigen Namen, „Starlighters", gründete unter dieser Firmierung seinen Klub und stellte sich die Aufgabe, künftig das in die Hand zu nehmen, was der weisungsgebundene Leiter eines Jugendheimes erst nach Überwindung erheblicher Schwierigkeiten tun kann, nämlich Tanztees und gesellige vergnügte Partys für junge Leute zu arrangieren. Es ging gut voran. Die Billetts für alle diese Veranstaltungen wurden restlos ausverkauft. Einnahmen und Ausgaben balancierten sich aus. Die Buchführung wies die ersten nennenswerten Überschüsse auf; das ermunterte den kleinen Kreis der zehn Aktiven zu neuen Ideen. Rödig kalkulierte absolut legitim und richtig, daß sich seinen Plänen eine bessere Entfaltung bieten werde, wenn sich die „Starlighters" einem Jugendverband angliedern. Er spart dadurch nicht nur die erhebliche Vergnügungssteuer, sondern findet damit auch eine recht solide geschäftliche Basis. Den „Falken" wiederum kam sein Vorschlag sehr gelegen. Ihrem durch politische Eskalationen etwas durcheinander gebrachten Image verhalf der Beat zu einem neuen Make-up und führte ihnen beachtliche Mengen sympathisierender Fans zu. Seitdem arrangieren die „Starlighters" mit Rückendeckung der Funktionäre Tanzmeetings und Beatfestivals am laufenden Band. 40000 junge Berliner waren 1965 beiden Veranstaltungen der „Starlighters" zu Gast. An Jedem Wochenende strömen die Beatfans ins „Zillertal" und in das Buschkrug-Kasino, die beiden Veranstaltungshäuser der „Starlighters", und amüsieren sich, wie's ihnen geziemt — ganz ohne Krawall. Die Abrechnungen wurden vom Verbandsbüro kontrolliert, und da sie bis zur letzten Stelle hinter dem Komma korrekt sind, dürfen die „Starlighters" weiter vor Aktivität sprühen. Auch in der Branche salonfähig geworden, lassen sie fleißig ihre Verbindungen zu Dieter Behlinda und seinem seriösen Liverpool-Hoop-Club — dem Beatmekka Berlins — und zum Starclub Hamburg spielen und präsentieren ihrem Publikum hin und wieder schon kostspielige Exklusivgastspiele ausländischer Bands zu dreistelligen Gagensummen. Da für Ihre Betriebsamkeit die gemietete Dreizimmerwohnung zu klein geworden Ist, werden sie in ein Einfamilienhaus übersiedeln. Adremapressen, Vervielfältigungsapparate und eine komplette Büroausrüstung und natürlich auch ein VW-Klelnbus gehören zum Inventar der „Starlighters", die an jedem Wochenende bis in die Nachtstunden ihre Programme abwickeln, Gäste betreuen und darüber wachen, daß die D-Mark rollt. Jetzt liebäugeln sie sogar schon mit einem Theater, in dem der Beat auf der Bühne seriöser und künstlerischer, im Chikago-Stil und mit Folklore-Nuancen, zur Erbauung des sachkundigen Hörerpublikums erklingen soll, ein Experiment, das für den Unternehmungsgeist seiner Initiatoren spricht. Die Welt der Erwachsenen hat die Springflut des Beat geschürt, die Welt der anpassungsfähigen Jugendlichen läßt sich von den Wellen tragen und schwimmt kräftig neuen Ufern entgegen.

Editorische Anmerkungen

Mehr  zu Dieter Behlinda siehe das Buch von Peter Rentzsch "Einmal zu den Sternen und zurück"

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