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Archiv Rock und Revolte

Die "Berlin Szene" im Spiegel des BLICKPUNKT

 
Heißer Wettstreit ums „Goldene Waschbrett"
von
R.


Die Skiffle-Lords - Gewinner des Goldenen Waschbretts

Noch nie haben Schwung und Rhythmus die Schöneberger Sporthalle so beherrscht wie an jenem 8. April, dem Tag der Berliner Musik-Olympiade um die begehrten Trophäen: das „Goldene Waschbrett", die „Silbernen Musikanten" und den „Flamingo-Pokal". Selbst die tiefgekühlte Coca-Cola hatte sich gegen Mitternacht in warme Brühe verwandelt, so heiß war die Atmosphäre.

Einer kam in Waschküchenpantinen

Während sich draußen ein erstes Frühlingsgewitter zusammenbraute, blitzte in der Halle eine unübersehbare Schar von Presse-und Amateurfotografen um die Wette. Das Fernsehen hatte ganze Batterien von Scheinwerfern aufgestellt. Beleuchter, Techniker und Tonassistenten stolperten mit Kameramännern über meterlange Kabel. Auf den Rängen und im Parkett saßen über 2400 junge Berliner, die als Komparsen für die zünftige Geräuschkulisse sorgten. Dankbare Fotoobjekte waren die Vertreter farbiger Völker, die Ehrengäste dieses Abends. Einer kam sogar barfuß in echten Waschküchenpantinen. Doch das war keine originelle Variante zum Kampf um das „Waschbrett", sondern ein Teil der malerischen Pracht seiner heimatlichen Kleidung. Er hieß Dr. Soedjas und saß als Repräsentant der indonesischen Jugendbildung mit seinem Kollegen Mr. Amadi aus Nigeria in der 3ury. Man hatte sie auf ein Präsentierpodest gesetzt, zusammen mit Vertretern der Berliner Presse und zwei Boxmeistern. Wäre an jenem Abend eine Goldmedaille zu verleihen gewesen, hätte sie keiner mehr verdient als Horst Schallon, der souverän die Fäden dieses Wettstreites in der Hand hielt und ihn durch seine pointierten Ansagen zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht hat.

Junge, hat die 'ne Röhre

Von 52 Berliner Skiffle-Groups hatten sich 16 zur Endausscheidung qualifiziert. Wie Gladiatoren marschierten diese in die Arena der Sporthalle ein, zum Teil in recht origineller Kostümierung, mit selbstgebasteltem Zupfbaß, Waschbrettern, elektrischen Gitarren. Sogar eine echt indianische Squaw-Group war dabei, die jedoch außer Konkurrenz spielte, dafür aber von den Bleichgesichtern auf den Zuschauerbänken mit tosendem Applaus belohnt wurde. Er galt vor allem auch ihrer Maskierung, was einen Skiffle-Fan zu dem Kommentar veranlaßte: „3a, die Mädchen, die machen immer so 'n Putz." Die „Gallow-Birds" schienen vom Richtfest zu kommen, sie hatten noch ihre Zylinder auf. Ihren ersten Platz in der zweiten Runde verdankten sie vor allem ihrer Sängerin, die eine Stimme wie eine Lokomotive hatte, „Junge, 3unge, hat die 'ne Röhre". Zwischendurch piepste hin und wieder mal der Verstärker einer Gitarre oder die Rückkopplung im Lautsprecher. Aber selbst diese undefinierbaren Töne konnten den musikalischen Wettstreit nicht beeinträchtigen.

443 Punkte für die „Skiffle-Lords"

Sonderapplaus erhielt der Bassist der „New-Skiffle-Spirits" für seine Mundharmonika-lmprovisationen. Gekonnt rubbelte der Waschbrettsolisi der „Skiffle-Lords" mit den Fingerhüten über sein Wellblech, daß man glaubte, Fred Astaire steppen zu hören. Erstaunlich das ausgezeichnete Gehör einiger Experten unter den Zuhörern, die musikalische Kostbarkeiten und Extravaganzen herausfanden und besonders intensiv beklatschten. Am Ende jenes fünfstündigen akustischen Ringens waren sich 3ury und Publikum einig, die „Skiffle-Lords" als Berlins beste Skiffle-Band mit der Siegestrophäe zu belohnen. Eine Engländerin stiftete außerdem den Siegern einen Gutschein über 110,— DM, und die „Lords" beschlossen nach kurzem Überlegen mit 5 : 1, eine neue Gitarre zu kaufen. Zu ihren schwarzen Glocken werden sie in Zukunft eine weitere modische Attraktion tragen, die ihnen aus An-laß ihres Sieges verliehen wurde, nämlich — Pelzfliegen. Ein Trost für die Unterlegenen: das „Goldene Waschbrett" ist nur eine Miniaturausgabe, und das Gold glänzte doch mehr nach Messing. Die „New-Skiffle-Spirits" kamen mit 406 Punkten auf den zweiten Platz.

Ihnen wurde schon vom Zusehen heiß

Jitterbug-Tänzer leben gefährlich, wenn sie auch noch so kraftstrotzend wie Schwerathleten ihre Partnerinnen in die Höhe stemmen, können sie es doch nicht verhindern, plötzlich von ihren Tänzerinnen aufs Kreuz gelegt zu werden. Wenn man dann noch seine Wettkampfnummer am Hosenboden befestigt hat, ist die Komik einer solchen Tanzsituation kaum noch zu überbieten. In diesem Fall war es die Nr. 9, die ständig ums Gesäß herumschlackerte, worüber sich insbesondere auch die farbigen Ehrengäste vor Lachen den Bauch hielten. Ihnen muß schon vom Zusehen heiß geworden sein, unentwegt fächelten sie sich mit ihren Programmzetteln frische Luft zu.

Die „Flamingos" waren der Clou des Abends

Die „Fire-Birds" hatten sich für ihre 3itterbug-Serie eine eigene Show aufgebaut. Drei Paare knieten im Kreis um das Spitzentanzpaar herum und klatschten im Rhythmus, während der tanzende Boy sein Girl nicht nur auf Händen trug, sondern es auch noch wie eine Hollywoodschaukel hin und her durch die Luft pendeln ließ. Doch denen auf den Tribünen schien das gar nicht so sehr zu gefallen, die fingen plötzlich an, alle vier Paare auszubuhen. Dann erschienen die „Stars" des Abends auf dem Parkett, der „Flamingo-Club", ohne Zweifel Berlins beste Jitterbug-Tänzer. Sie unterschieden sich schon in ihrer Kleidung, deren farbliche Harmonie guten Geschmack verriet, von ihren Konkurrenten. Aber was sie sich für den Auftritt ausgedacht hatten, war nicht nur originell, sondern auch so exakt getanzt und mit Witz und beinahe artistischem Können dargeboten, daß es alle Zuschauer förmlich von den Sitzen hochriß. Ja, ziltern müßte man können, hieß es, als die ersten blaugelben „Flamingo"-Pärchen zu den Rhythmen des Orchesters Wolf Gabbe ihre Jitterbug-Kapriolen hinlegten. Plötzlich brach die Musik ab, und als Clou erschien das vierte Pärchen im Rokokokostüm mit einer Menuetteinlage, die schließlich ebenfalls in einem turbulenten und rasanten Jitterbug endete. Das war erstklassig und sicherte den ..Flamingos" die Berliner Meisterschaft vor den „Fire-Birds", dem „Delphin-Club" und den „Golden Boys". Zum besten Einzeltanzpaar hatte die Jura Micha und Christine von den „Golden Boys" gepunktet, während die Publikumsentscheidung zugunsten von Wolfgang und Christiane, dem Komikerpaar des „Flamingo-Clubs", ausfiel. Über den dritten Platz waren sich Publikum und Jury einig, ihn gewannen Ingo und Schulli.

„Mylord" kam nicht an

Einen weniger glücklichen Eindruck machten die „Talente am Mikrophon". Besonders schwer hatte es ohne Zweifel Hans Albrecht Weiland mit „It's now or never", denn er mußte nicht nur gegen sein eigenes Lampenfieber, sondern auch gegen eine große Unruhe im Saal ankämpfen, so daß das hohe „C" am Schluß seines Titels eben doch nur als gequältes „H" kam. Gabriele Zimmermann hatte es schon ein bißchen leichter — Kunststück, sie war mit ihrer eigenen Band erschienen, die mit musikalischer Untermalung Hilfestellung gab. Manfred Berger pustete eine Elvis-Presley-Parodie ins Mikrophon, und Christa Springer — mutig auf sich allein gestellt — sang „Mylord" in großer Starpose, doch die allein macht noch keine Edith Piaf aus, wenn die Stimme und die Persönlichkeit zum Vortrag fehlen. (Doch was nicht ist, kann ja noch werden; auf jeden Fall Hut ab vor ihrer Courage). Während die Rechenmaschine wie ein Elektronengehirn die Wertung der Jury-Mitglieder addierte, traten neue Talente ans Mikrophon, unter ihnen die Siegerin des Abends, Karin Seidel, die Musikalität und Temperament in sich vereinigt und die „Silbernen Musikanten", eine Nachbildung der „Bremer Stadtmusikanten", aus der Hand der Schutzpatronin dieses musikalischen Festivals, Frau Senator Ella Kay, entgegennehmen konnte. Auf den zweiten Platz kam Gabriele Zimmermann; Bernd Grimm, von dem einige 3ury-Mitglieder schon nach den ersten Takten meinten, „der hat wirklich eine Stimme", wurde Dritter.

Soviel sie auch zappelten

Zwischen den Wettkämpfen hatte das Publikum Gelegenheit, sein tänzerisches Talent zu beweisen. Am flottesten trippelten die Boys in weißen Oberhemden über die Tanzfläche, am gelassensten drehten sich die Maschenträger, also die in Pullovern — verständlich bei der dem Siedepunkt nahen Temperatur. Offensichtlich war beim Tanzen auch zu merken, wer später einmal die Hosen anhaben wird; sosehr manche jungen Männer auch zappelten und ihre Extramätzchen wagten, einigen Girls imponierte das gar nicht. Wenn sie dann noch turbulent über die Schulter geworfen wurden, reagierten sie mit funkelbösen Blicken, worauf sich die Tänzer schließlich den rhythmischen Schritten ihrer Partnerinnen fügten. Ab und zu war es auch umgekehrt, da ging sie in die Knie und er bestimmte das Tempo.

Einstimmiges Urteil der Sieger wie der Besiegten, der Arrangeure wie der Zuschauer: Es hat einen Mordsspaß gemacht, und der Beifall kurz vor Mitternacht, der vor allem den Initiatoren in der Abteilung Jugend und Sport des Bezirksamtes Schöneberg galt, war deshalb ein besonders herzlicher, gespendet in der Hoffnung, daß „Schwung und Rhythmus" recht bald wieder in der Sporthalle am Sachsendamm zum Zuge kommen.

Editorischer Hinweis

Die Skiffle-Lords = The Lords
siehe dazu: 50 Jahre THE LORDS - Die Biografie

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