Leere Zimmer im Jugendheim
von Oskar Benn
Es muß durchaus
nicht an der Jugend — es kann auch an den Jugendheimen liegen: Man hört aus
verschiedenen Bezirken, daß es keine „Besucherrekorde" in den Jugendheimen
mehr gibt. Oft blieben einige Besucher fort, manchmal zogen ganze
Jugendgruppen aus. Und wenn dann ein großes Jugendheim die Jahresbilanz
zieht, sind es in zwölf Monaten plötzlich 20 000 junge Besucher weniger
geworden. „Möblierte Zimmer kostenlos zu vermieten — Licht und Heizung
frei" — Schilder dieser Art werden an Berlins Jugendheimen natürlich kaum
jemals hängen. Immerhin machen sich die Jugendämter verschiedener Bezirke
einige Sorgen darüber, wo diese Entwicklung hinführen soll. Da es mit der
Feststellung allein nicht getan war, gingen Jugendpfleger auf die
Fehlersuche.
In einem Bezirk gingen Beauftragte der Abteilung Jugend ohne Voranmeldung
durch die Jugendheime. Tagelang waren sie jeden Abend im gleichen Heim.
Berichte und Statistiken genügten ihnen nicht — sie wollten selbst einmal
feststellen, woran es denn wohl liegen könnte. Sehr bald merkten sie: Es
konnte am Programm, der Atmosphäre und am Heimleiter liegen.
Zwar gibt es gute und bessere Heimleiter, doch alle sind zu sehr
ausgelastet. Sie können ihre jungen Gäste gar nicht individuell behandeln,
wenn sie eine Mischung zwischen Heimleiter und Hauswart sein müssen.
Theoretisch soll ein Jugendheimleiter pädagogisch begabt, technisch versiert
und nicht zu alt sein. Man erwartet von ihm, daß er Filme vorführen, gut
singen, musizieren und Laienspiele einstudieren kann. Praktisch wird er aber
so bezahlt, als ob er nichts von alledem könnte. |
Konzertmusik fürs Taschengeld: Im
Folke-Bernadotte-Jugendheim, Lichterfelde, wurde eine Musikbox für die
Heimbesucher aufgestellt.
Wo man bastelt. Da lass dich ruhig nieder — im
Albert-Schweitzer-Jugendheim:
Im Steglitzer Stadtpark sind's die alten
Radioapparate, die es den jungen
Leuten angetan haben. |
Dann
das Programm. Zuviele Tanz-und Musikveranstaltungen sollen es nicht sein —
ein Jugendheim ist kein Amüsierbetrieb. Da kam es dann auf den Heimleiter,
aber auch auf seine jungen, ehrenamtlichen Helfer an.
Gelang es, gute Gruppen aufzuziehen, stiegen die Besucherzahlen sofort
wieder an. Das mußte nicht immer eine Bastei- oder Musikgruppe, es konnte
auch eine Boxgruppe sein. So wurde manches versucht. In einem Jugendheim
wird eine Musikbox als musikalischer Groschenautomat aufgestellt. Über die
Plattenauswahl entscheidet — ohne allzustrenge Zensur — der Heimleiter, die
Musik wird von den Jugendlichen selbst bezahlt. Plötzlich wird der
Konzertkasten ein Mittel zum Zweck — man kann damit auch Operetten- oder
Jazzmusik-, aber auch nette Tanzabende veranstalten. Außerdem wird das
Argument mancher, sie gingen nur wegen der Musikbox
in,» ein Lokal, gegenstandslos.
Ein anderes Jugendheim lud*-sich Künstler ein, zog damit neue G,äste
heran und bildete daraus Laienkünstlergruppen. Gab man nun noch dem
Heimleiter wenigstens einen Gehilfen und ersparte man ihm durch eine
Ölheizung das Sachgebiet „Kohlenkeller", stiegen die Besucherzahlen' wieder
an.
Eine andere Entwicklung: Aus 'einigen Jugendheimen zogen ganze Gruppen
aus. Sie wollten nicht Stundengäste in einem Zimmer sein und suchten sich
irgendwo ein anderes. Dort konnten sie als einzige Dauergäste die Wände nach
ihrem Geschmack bemalen, und das geht im Jugendheim ja kaum. Teilweise
verlagerten Jugendgruppen ihre Zusammenkünfte auch in Familien — das ist
eine Entwicklung, die selbst von den Jugendbehörden erfreulich genannt wird.
Es gibt Jugendgruppenheime, die in absehbarer Zeit zu Heimen der offenen Tür
umgewandelt werden sollen — weil zu viele Gruppen auszogen.
Nur mit dem Jugendheim-Neubau ist es also nicht getan - zum Programm
gehören Ideen, und die sollten viel mehr noch als bisher nicht nur von der
Behörde, sondern gerade von den Jugendlichen kommen. „Mit Volkstanzabenden
allein locken wir keine Jugendlichen in die Jugendheime" — diese Erkenntnis
eines Berliner Bezirksjugendpflegers zeigt, daß man mit der Zeit Schritt
halten will — und wenn's die Musikbox mit gemäßigtem Repertoire ist... |
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